Wahre Schönheit
Hallo euch allen. Wie schön euch zu sehen. Onegai shimasu. Ich werde heute das Shokushu Nr. 8 lesen, “Positiv Leben (Plus Life)”.
“Das absolute Universum ist Eins. Da erschienen zwei gegensätzliche Kräfte und die relative Welt war geboren. Dies wird in der östlichen Welt yin und yang genannt, in der westlichen Welt negativ und positiv. Ein frohes und munteres Leben wird als positiv bezeichnet, und ein dunkles und schwermütiges Leben als negativ. Lasst uns von nun an alle negativen Gedanken eliminieren und ein positives Leben anstreben.“
Heute lautet unser dritter Spruch von Koichi Tohei Sensei: “Wahre Schönheit kommt von innen.”
Lynn und ich waren einmal in Florenz, Italien, im Museum in dem sich die Statue von David befindet. Ich werde diese Erfahrung nie vergessen. Sie ist so aufgestellt, dass man vollständig um die Statue herum laufen kann. Sie ist aus weißem Carrara Marmor, und ich bin mir sicher fast jeder hat schon wenigstens ein Foto davon gesehen. Aber wenn ihr sie nicht persönlich gesehen habt ist euch vielleicht nicht bewusst wie groß sie ist, viel größer als lebensgroß. Und es ist so schön, so bewegend, mit ihr in einem Raum zu sein, dass ich weinen musste. Ich dachte “Wie seltsam!” Sie ist spektakulär, wie sie so aus Marmor gemeisselt wurde. Die Form allein ist wirklich faszinierend. Aber wie ich sie mir anschaute, erkannte ich dass die Form allein mich nicht zum Weinen gebracht hätte. Es war etwas anderes. Ich konnte dieses Etwas nicht genau benennen. Und, natürlich, es ist die Schönheit! Wie Tohei Sensei sagt, selbst in diesem Fall, oder vielleicht besonders in diesem Fall, kommt die Schönheit von innen.
Natürlich können wir sagen, “Nun, es ist Kunst.” Es ist die Kunst, diesen verborgenen Zustand, den wir Schönheit nennen, auszudrücken. Ich denke wir erfahren die Schönheit von etwas, wenn wir in der Lage sind wahrzunehmen wie das Verborgene durchscheint. Das ist wenn das Unsichtbare hervor tritt in unser Leben, direkt auf uns zu, ob nun in der Musik, in etwas Geschriebenem, oder einem Gemälde oder einer Skulptur. Wir haben alle schon diese Erfahrung gemacht, denke ich, jemanden zu sehen den wir für sehr schön hielten, und dann wenn wir uns mit ihm eine Weile unterhalten haben, dachten wir „Hmm, nicht so schön.” Andererseits habt ihr, denke ich, vielleicht auch schon jemanden gesehen, den ihr auf den ersten Blick für nicht so schön hieltet, aber dann hat es nur einen Moment gebraucht mit ihm zu sprechen, und ihr habt gesehen wie schön er in Wahrheit ist.
Vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt eine kleine Pause zu machen und ein wenig Ki-Atmung zu üben (16 Min. Ki-Atmung)
Ich möchte damit beginnen, dass ich Sayaka Reasoner bitte „Wahre Schönheit kommt von innen“ für uns auf Japanisch vorzulesen.
(Liest auf Japanisch)
Vielen Dank.
Okay. Ich war einmal mit Suzuki Sensei in Japan auf einer Taigi Competition. Da haben diese zwei jungen Männer vorgeführt und ich war sehr beeindruckt. Sie waren fantastisch in ihren Bewegungen, und ich wies Suzuki Sensei auf sie hin und sagte, „Schau dir das an. Ist das nicht fantastisch?“ Und er sagte, „Ja, sie bewegen sich ganz toll… aber kein Ki. Wirklich schade.” Ich war zu dieser Zeit noch unreif, und hatte nicht den Einblick. Im Grunde ging es Suzuki Sensei wirklich um innere Schönheit, innere Bedeutsamkeit. Da ist innere Schönheit, und dann ist da der Ausdruck dieser inneren Schönheit, aber jede wahre Schönheit kann immer nur von innen kommen. Das ist der einzige Ort von wo sie kommt. Und ich denke Suzuki Sensei hat mir immer und immer wieder versucht diese Tatsache beizubringen, die ich noch nicht wirklich verstand. Ich habe war am Vergleichen. Aber das ist es überhaupt nicht. Innere Schönheit ist unvergleichlich.
Wahre Schönheit ist, wenn das was nicht gesehen werden kann von dem Individuum so wertgeschätzt wird, dass es in allem sichtbar wird was sie lieben zu tun. Es mögen die Aikido-Bewegungen sein, oder auch nicht. Es mag das Malen sein, oder es mag das Schreiben sein, oder es mag das Reiten sein, oder das Kanu-Paddeln. In der Tat alles was die Menschheit in der Lage ist zu unternehmen. Die Möglichkeit ist immer da. Das ist warum wir es tun: Um einen Weg zu finden natürlich zu sein, und so unseren ursprünglichen Zustand zu finden, ihm treu zu sein, und ihn ausstrahlen zu lassen.
Ich hatte euch heute einen Text zugeschickt. Vieles was ich da geschrieben habe beschreibt was Schönheit nicht ist, und wahrscheinlich mehr davon als nötig gewesen wäre. Aber es ist in unserem Leben auch sehr wichtig zu bemerken, was es ist womit wir die ganze Zeit beschäftigt sind. Weil wir einen schrecklich großen Teil unserer Zeit damit verbringen, nicht shugyo zu praktizieren, wir sind zu beschäftigt, zu abgelenkt, legen Wert auf andere Dinge als das was ist. Aufgrund unseres fehlenden Vertrauens tendieren wir dazu, uns mit anderen Menschen zu vergleichen. Immer wenn wir uns mit anderen Menschen vergleichen, geht es uns um Form – nicht um die Kunst, sondern um die Fertigkeiten. Wir wollen etwas abhaben oder kopieren von dem was wir als eine erlesene Form wertschätzen. Aber wahre Schönheit kann nicht kopiert, oder ausgeliehen oder von jemand genommen werden. Wahre Schönheit kommt nur von dir. Es ist deine eigene Verbindung mit dem universellen Geist, mit dem universellen Selbst. Wenn diese Vereinigung geschieht, dann scheint die wahre Schönheit hervor, aus jedem von uns.
Wir alle wissen wie sich das anfühlt – manchmal nennen wir es „in der Zone sein”. Tohei Sensei nennt es einfach „Geist-Körper Einheit”. Und wir wissen es auch alle wenn es nicht so ist. Das ist warum wir diese Praxis des Aikido tun.
Es mag seltsam erscheinen, dass Tohei Sensei über so etwas spricht, über wahre Schönheit, aber ich denke es ist sehr wichtig. Ich habe wahre Schönheit im Internet nachgeschlagen, und alles was sie über wahre Schönheit zu sagen hatten war, dass man lernen muss sich selbst zu lieben. Zuerst dachte ich: „Nun, das ist irgendwie ein Klischee”. Aber dann, natürlich, ist es schon wahr. Ich sage immer zu euch: „Wenn ihr zum Dojo kommt, lasst nicht euren schlechten Teil zu Hause und bringt nur den guten Teil. Wenn ihr zum Dojo kommt, bringt alles! Denn das ist womit wir arbeiten. Es ist nicht so, dass wir unsere schlechten Dinge finden müssen und sie dann ablehnen oder loswerden. Wir sprechen schon von Transformation von etwas das, nun ja, vielleicht weniger nützlich ist, hin zu etwas mehr Nützlichem. Aber diese Transformation findet statt, weil wir den Teil von uns akzeptieren, den wir vorher nicht akzeptieren konnten. Natürlich, wenn wir jemanden da draußen sehen mit einer Eigenschaft die wir nicht mögen und die wir tendieren zu kritisieren, dann ist das weil das wir da drüben in dem anderen sehen genau der Teil in uns selbst ist, den wir noch nicht akzeptiert haben. Das ist das Spiegel-Universum. Wir sprechen oft darüber in unserer Praxis.
Tohei Sensei spricht davon einen Tropfen klares Wasser in eine Tasse Tee zu geben. Wenn wir unser Unterbewusstsein transformieren, geben wir einen Tropfen positiven Geistes (plus mind) hinein, jeden Tag oder in jedem Moment, mit jedem Gedanken, mit jedem Wort, mit jeder Aktion. Das ist das Hinzugeben von einem Tropfen Akzeptanz von dem was wir sind. Ich akzeptiere heute diesen Teil den ich gestern noch nicht akzeptierte, und morgen akzeptiere ich jenen Teil den ich heute noch nicht akzeptieren konnte. Jeden Tag geben wir ein bisschen mehr Plus in unser Unterbewusstsein, wir lernen Anteil zu nehmen, zu akzeptieren wie es ist, Stück für Stück, mehr und mehr. Und so kann unser natürlicher Zustand mehr und mehr hervor scheinen, kann unser Leben übernehmen. Unser natürlicher Zustand ist nicht unser kleiner Geist. Unser natürlicher Zustand ist das womit wir geboren wurden, unsere Freiheit. Das ist Universeller Geist. Tohei Sensei nennt das “taiga”: alles zugleich; oder Suzuki Sensei nannte es „das Leben vollständig leben“, was seine Art war das auszudrücken.
Wenn wir uns selbst lieben, wenn wir dieses vereinte Wesen lieben als das wir geboren wurden und als das wir sterben werden, dann scheint das als wahre Schönheit hindurch. Was auch immer wir versuchen zu tun, jede Ausdrucksform die wir annehmen – und auch wenn wir in einer bestimmten Fertigkeit perfekt sein sollten – wenn es nicht original und wahrhaftig ist, dann wird es nicht wahrlich schön sein.
Okay, nun lasse ich euch das mal für 15 Minuten untereinander diskutieren.
Schüler: Hi. Guten Abend euch allen. Danke für das Thema. Es hat für eine tolle Konversation gesorgt. Zuerst haben wir darüber gesprochen, wie man leicht von wahrer Schönheit als das denkt was wir persönlich mögen, wie: „Ich bevorzuge diese Art von Kunst oder diese Art von Musik.” Dann haben wir erkannt „Warte mal. Nein, das ist es nicht!”
Ich habe ein wenig von meinen Erfahrungen gesprochen, zum Beispiel draußen im Wald zu sein, oder meinem Kind beim Schlafen zuzusehen, oder plötzlich sich dem Moment bewusst zu werden. Und dann, sobald ich versuche ihn festzuhalten, verschwindet er. Aber dieses Gefühl – und das gibt es in allen möglichen Erfahrungen – es ist nicht notwendigerweise nur visuell: es kann Musik sein, es kann eine Empfindung sein, es kann vieles sein.
Es war toll mit Joelle Perz über Schönheit zu sprechen aufgrund ihrer Erfahrung als Malerin. Wir sprachen über Kunst und Schönheit, und dass die Schönheit von der wir sprechen nicht notwendigerweise nur schön ist, sondern auch kraftvoll. Ich kenne nicht den Namen des Gemäldes von dem sie sprach: ein Picasso Gemälde über den Krieg, das ist keine Schönheit oder schön im gewöhnlichen Sinne, aber total kraftvoll vielleicht in dem Sinne wie du über die David Statue gesprochen hattest. Dankeschön.
Ich würde sagen dass das für mich etwas ist, über das menschliche Wesen kein Wissen haben können, denn ich denke egal was wir sagen, ist wahre Schönheit immer noch eine Art Mysterium. Sie ist das Unsichtbare wie es in unserem Leben in Erscheinung tritt.
Das Gemälde von dem Joelle sprach ist Guernica, von Pablo Picasso. Guernica war eine Stadt in Spanien, die auf Franco’s Erlaubnis hin als ein Experiment bombardiert wurde. Er erlaubte der Nazi-Luftwaffe rüber zu kommen und die Stadt zu Übungszwecken zu bombardieren, und hat dadurch tausende Menschen getötet. Es war eine sehr häßliche Sache. Aber Schönheit ist das Gefühl das du hast wenn du siehst wie viel Anteilnahme und Mitgefühl in diesem Gemälde ist. Ich habe es in Madrid gesehen. Es ist erstaunlich da davor zu stehen. Es kann sehr schwierig sein in dessen Präsenz zu sein. Also ja, ganz sicher ist es was sie sagt: Power.
Aber für mich – ich versuche es in Worte zu fassen. Was ich wirklich sagen will, denke ich, ist dass wir es vielleicht wirklich nicht in Worte fassen können. Vielleicht, sobald wir es in Worte fassen entwerten wir es auf eine Art, wir beschränken es auf eine Art, wir kastrieren es. Es ist einfach so erstaunlich in der Präsenz von wahrer Schönheit zu sein. Und dann zu realisieren, dass wir das sind: es seid ihr und ich und darum geht es. Wir repräsentieren das irgendwie selbst wenn wir es in uns selbst nicht sehen, und die meisten von uns tun das nicht, gewiss nicht vollständig. Wir sehen es vielleicht hier und da, aber das ist weil wir das Unsichtbare nicht sehen.
Schüler: Guten Abend, Sensei. Wir haben uns irgendwie gefragt was dieser Spruch „Wahre Schönheit kommt von innen“ mit der Aikido Praxis und mit Aikido Praxis im täglichen Leben zu tun hat? Es scheint irgendwie so wie du nach der Meditation sagtest, es war so wie: „Wenn wir uns vollständig akzeptieren, dann scheint Schönheit hervor.” Das ist was ich mich frage.
Ja. Nun, was das wirklich meint ist, wenn wir denken wir wissen wer wir sind, dann tun wir das vielleicht gar nicht. Akzeptieren ist nicht Bewerten. Ein wenig davon was ich über Schönheit im Allgemeinen gesagt habe ist irgendwie arrogant. Vielleicht ist es sogar irgendwie ignorant sich vorzustellen, wir würden diese Schönheit verstehen. Wir verstehen so wenig. Wir wissen nicht einmal wie wir unser Essen verdauen, um Himmels willen. Wir haben keine Ahnung wie das alles geschieht. Ich stoße ständig darauf weil ich immer von der Natur des menschlichen Wesens in dieser Lehre spreche. Tohei Sensei’s ganzes Lehrsystem basiert darauf, was ein menschliches Wesen ist, und wie wir auf einem optimalen Level funktionieren. Wie machen wir uns verfügbar für die unendlichen Möglichkeiten? Wie schaffen wir es, uns nicht zu limitieren?
Nun, eine Art wie wir darüber sprechen ist indem wir sagen „wir akzeptieren uns selbst”. Aber akzeptieren heisst nicht „Okay, ich weiß genau was ich jetzt bin, und das ist OK.“ Es ist, dass niemand weiß was als nächstes erscheinen wird und egal was da erscheint, es ist OK. Es funktioniert einfach überhaupt nicht uns selbst zu beurteilen, denn wenn wir uns selbst beurteilen, dann finden wir uns im Grunde irgendwo zwischen außergewöhnlich besonders und unglücklicherweise sehr hässlich und böse wieder. Da gibt es eine große Skala, und wir finden uns irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Und das ist einfach Schwachsinn! Entschuldigt, dass ich das so sage, aber man macht sich einfach was vor wenn man sich einbildet, dass es akkurat oder auch nur nützlich wäre, sich auf diese Art zu kennen. Das Gefühl das erscheint wenn wir uns akzeptieren ist Liebe. Wir nennen es Liebe. Du liebst etwas nicht, wenn du es bewertest als entweder schlecht oder gut. Wir akzeptieren einfach alles das wir sind, und wenn das geschieht dann kann deine Schönheit hervor scheinen. Okay?
Schüler: Vielen Dank, Sensei.
Schüler: Hallo euch allen. Wir haben über verschiedene Themen gesprochen. Zum einen gab es eine Diskussion über das was du sagtest, dass wenn wir ein Verhalten oder eine Art zu Sein an einer anderen Person kritisieren, dann muss das so sein weil es auch in uns ist. Dann verschob sich die Diskussion mehr in eine allgemeine Richtung, dass alles was wir wahrnehmen nur wahrnehmen können wenn wir Bewusstsein haben, und wenn das so ist, dann erscheint all das in uns.
Im Grunde ist die Erkenntnis, dass wie wir uns fühlen die Art ist wie wir auf die Dinge reagieren die in der Welt geschehen. Es ist nicht das Ding selbst das man fühlt, sondern die Reaktion darauf. Wir haben hier nicht wirklich eine Frage formuliert, aber vielleicht könntest du darüber sprechen.
Wenn ich die Schüler am Anfang einer Stunde in der Meditation anleite, sie kommen oft zum Unterricht direkt von der Arbeit, oder mit häuslichen oder finanziellen Problemen im Kopf. Einige sind früher gekommen – sie sitzen bereits seit einigen Minuten in der Meditation – aber sie sehen alle komplett anders aus wenn man sie anschaut. Nicht die physische Erfahrung, die natürlich unterschiedlich ist, sondern die Erscheinung, wenn man tiefer schaut. Und dann leite ich die Meditation an, manchmal mit Worten, führe sie zu einem ruhigen Zustand, wo manchmal Bilder verwendet werden: „Du siehst den Himmel, alle Dinge schweben wie Wolken vorbei“, oder vielleicht „Sei der Himmel“. Dann schaue ich und alle haben sich verändert. Es scheint als wenn sie nun alle gleich aussehen. Physisch sind die Merkmale natürlich verschieden, aber sie haben die gleiche Erscheinung. Aber das ist nur seh-bar wenn der Schauende selbst in diesem Zustand ist. Sonst kann man es nicht fühlen. Also wenn jemand von der Straße reinkommen würde, wird er nur einen Haufen Kohlköpfe da still sitzen sehen. „Was tun die da?“ Aber wenn man im gleichen Zustand ist, kann man es sehen. Nun, vielleicht kannst du darüber sprechen, Sensei.
Nun, das ist bereits ein schöner Ausdruck davon. Ich bin nicht sicher wie viel ich noch hinzufügen kann. Ich erinnere mich, als ich mit Aikido begann und in den ersten Jahren meines Trainings, bevor ich Lehrer wurde, und sicherlich bevor ich der Lehrer unserer Gruppe hier wurde. Zu der Zeit sagten die Leute mir Dinge, die sie mir jetzt nicht mehr sagen. Ich hörte Leute oft sagen „Ich verstehe das nicht. Sollen wir alle gleich sein? Wenn wir dies praktizieren, wenn wir diesen Prinzipien folgen, werden wir dann nicht alle gleich werden? Wie langweilig! Denn was uns interessant macht sind doch all diese Unterschiede.” Als wenn diese Unterschiede verschwinden würden, oder wir sie auf irgendeine Art verlieren würden. Heute ist das für mich sehr amüsant, aber ich erinnere mich, dass das früher alle beschäftigt hat. Und auch heute höre ich hin und wieder jemand diese Bedenken ausdrücken. Sie sagen zu mir „Ich habe Angst dass ich meine Vorteile verliere. Ich werde das verlieren was mich dynamisch macht.” Das wirft bei mir die Frage auf ob sie denken „Wenn wir dann nur einen positiven Geist (plus mind) haben, wie langweilig und fade ist das denn?“, wenn es doch tatsächlich genau das Gegenteil ist. Diese wahre Schönheit kann nur aus uns hervor scheinen wenn wir einen positiven Geist (plus mind)haben.
Ich denke die Art wie du das ausgedrückt hast war sehr schön, denn das ist mir natürlich auch schon passiert. Ich habe das auch bei den Menschen bemerkt. Zum Beispiel, lasst uns mal nur über diese Gruppe hier in Zoom sprechen. Wir sind nun als Gruppe mehr oder weniger bereits seit sechs oder sieben Monaten zusammen. Denkt nur mal an euch als Mitglied dieser Gruppe und an diejenigen mit denen ihr interagiert, und wenn ihr nicht mit ihnen interagiert, zumindest seht ihr ihnen zu oder lest über sie. Haben wir nicht alle ein Gefühl einer Gemeinsamkeit im Sinn und Zweck, einer Gemeinsamkeit der Erkenntnis, eine Gemeinsamkeit im Engagement, das so vollständig am Anfang noch nicht da war? Vielleicht hattet ihr bereits einen individuellen oder einzigartig persönlichen Sinn davon, aber vielleicht habt ihr das noch nicht in der Gruppe gehabt. Einer der Aspekte die wir hier anstreben zu berühren ist: Was ist die Schönheit dieser Art von Praxis, die doch so unterschiedlich ist zum Training im Dojo? Wir wissen was die Nachteile sind. Aber was sind die positiven Aspekte hiervon? Warum ist es so bewegend und bedeutsam für uns? Ich denke du, Olaf, hast es genau getroffen, als du die Veränderung beschrieben hast die schon in einer einfachen Meditationsübung zwischen Anfang und Ende stattfindet. Wir tendieren dazu ins Dojo zu kommen, und selbst wenn wir nicht mehr über unsere Probleme grübeln, dann schwingt doch wahrscheinlich immer noch ein Echo dieser Probleme in uns herum. Deswegen bitte ich die Leute ziemlich früh zum Unterricht zu kommen, und dann für eine Weile zu sitzen, so dass sie das Gefühl bekommen in diesem Raum mit diesen Menschen zu sein. Und dies gibt dir gewisser weise einen Vorsprung. Deswegen möchte ich immer dass ihr auch zu diesen Zoom Stunden früher kommt. Ich tue das. Ich gehe üblicherweise ein paar Stunden vorher ins Dojo. Dafür gibt es alle möglichen Gründe, aber selbst zu dieser Online Stunde komme ich mindestens eine halbe Stunde bevor ich die Stunde beginne. Einfach um in dem Raum zu sein. Tatsächlich komme ich von meinem Haus hier rüber ins Büro anderthalb Stunden vor dem Unterricht um allein zu sitzen und in dem Raum zu sein. Ich sage nicht dass ihr das tun solltet. Ich sage nur der wirkliche Wert liegt im Unsichtbaren. In der Präsenz des Unsichtbaren zu sein, was vielleicht nicht leicht hinzukriegen ist wenn wir auf unserer Arbeit sind, oder wenn wir mit anderen Menschen unterwegs sind, oder wenn wir mit irgendeiner anderen Sache beschäftigt sind. Das ist die Schönheit von dem was wir hier tun.
Schüler: Hallo, euch allen. Hallo, Sensei. Wir hatten eine sehr lebendige Diskussion. Eine Menge wundervoller Aspekte dieses Themas kamen hoch. Eine Sache über die gesprochen wurde war, müssen wir diese Kapazität für Schönheit erschaffen, oder liegt die Schönheit im Auge des Betrachters? Und wie kann da ein Betrachter sein, wenn Curtis Sensei sagt, „Du sitzt und betrachtest einen Sonnenuntergang und du sagst nicht ‚Oh, das ist schön.‘ Du erfährst den Sonnenuntergang einfach.“ Also, wie ich das in eine Frage fasse ist, denke ich, vielleicht: Ist da jemand der die Schönheit betrachtet?
Okay. Das geht hier ein bisschen querbeet, oder? Sehr interessant. „Ist da jemand der die Schönheit betrachtet?“ Natürlich, natürlich. Da findet ein Betrachten statt. Ansonsten hättest du nichts worüber du reden könntest. Natürlich ist da jemand der die Schönheit betrachtet, aber ich denke dieser Punkt hier ist wichtig: Es ist nicht jemand der selbst-bewusst die Schönheit bewertet. Das ist irgendwie was ich vorher versucht hatte auszudrücken, aber ich hatte nicht das Wort „selbst-bewusst“ verwendet. Wenn wir in einer Beziehung zu einer anderen Person stehen, oder zum Sonnenuntergang, das ist das gleiche. Morgens wenn ich spazieren gehe, dann sehe ich oft eine Gruppe von Rehen in meiner Nachbarschaft. Natürlich lassen sie mich nicht näher kommen, es sind wilde Rehe. Sie unterbrechen was sie gerade tun. Ich will sagen sie sind generell dabei Gras zu fressen, und wenn sie wahrnehmen dass ich in ihre Nähe komme – ich bin immer noch weit entfernt – dann stoppen sie, drehen den Kopf und schauen mich an für ein oder zwei Momente, ein wenig länger als man erwarten würde, und dann bellt eins von ihnen. Und dann sind sie verschwunden. Sie rennen nicht, sie galoppieren nicht wie Pferde, sondern sie bewegen sich in Sprüngen. Wie auch immer, sie sind sehr schön, und die Schönheit bleibt bei mir. Sie sind weg, und ich erfahre immer noch die Schönheit, bis ich bemerke dass die Schönheit erfahren habe, und dann geht mein Geist zu allen möglichen bemerkenswerten Dingen über Rehe, was aber auch OK ist.
Hieran ist nichts Falsches, aber die eigentliche Erfahrung der Schönheit ist in meiner Erfahrung nicht selbst-bewusst. Es ist in keiner Weise selbst-reflektiert. Natürlich, natürlich. In dem Moment in dem du dir der Erfahrung der Schönheit des Sonnenuntergangs bewusst wirst – nicht dass das ein Fehler von dir wäre – es ist nur dass deine Erfahrung dann vorbei ist. Nun erfährst du etwas anderes, die Erinnerung daran.
Natürlich, wie auch immer, da ist ein Betrachter.
Schüler: Eine Person meint, dass sie durch die Natur mit Schönheit in Kontakt kommt. Das ist wenn sie sich bewegt fühlt. Und dann, ein herausforderndes Thema das wir hatten war, als du darüber sprachst wenn man jemanden im Außen beurteilt, dann geht es um etwas du man in sich selbst ablehnt, gegen das man eine Abneigung hat. Es ist als wenn wir nicht wirklich die Teile von uns akzeptieren wollen, die wir als hässlich oder falsch einschätzen. Nun, wie schalten wir um und akzeptieren das was wir in uns ablehnen?
Das erinnert mich an etwas, das ich in meiner Zeit als Schauspieler entdeckt habe. Es gibt einige Dinge die am Schauspieler-Sein vielleicht nicht so toll sind, als eine Art zu leben. Aber der Prozess, die Kunst des Schauspielens selbst, ist recht interessant und ich denke für jeden interessant zu üben. Und das ist weil um zu schauspielern, um sich in eine Figur hineinzuversetzen, muss man tatsächlich alle Bürden akzeptieren die diese Figur mit sich bringt. Zum Beispiel, ich hatte einmal die Rolle des Iago in Othello zu spielen. Iago ist ein sehr bösartiger Kerl, sehr bösartig. Aber du kannst „bösartig“ nicht spielen. Das funktioniert nicht. Du musst seine Umstände wirklich verstehen und akzeptieren, die seine Handlungen und Gedanken und Worte und Emotionen produzieren. Es ist die Aufgabe der anderen zu sagen „er ist bösartig“. Wenn du ihn spielst, dann bist du diese Person. Du musst all diese Eigenschaften finden. Und wo findest du sie? Du kannst sie nur in dir selbst finden. Du kannst zu nicht von jemand anders übernehmen. Du kannst Form kopieren: Akzente, Arten zu gehen, Aussehen, Kostüme und so weiter, solche Dinge, Arten zu reden. Das ist alles Form. Jedoch, die Emotion selbst kannst du nicht imitieren oder ausborgen. Die muss wahrhaftig aus dir selbst kommen.
Das bringt dir bei, die Umstände zu akzeptieren die das Resultat hervor brachten, uns das Resultat ist diese Figur. Dann schaust du auf dein eigenes Leben, und bemerkst die Dinge die du nicht magst wenn du etwas sagst das du nicht hättest sagen sollen, oder dir wünschst dass du sie nicht gesagt hättest, oder du hast etwas getan was für dich vielleicht nicht die beste Wahl war. Du kannst sehen, wie das in dir hervorgerufen wurde. Wenn du es bemerken kannst – deswegen hatte ich gesagt, die „Fünf Prinzipien des Bemerkens“ werden hier irgendwo eine Rolle spielen – dann wirst du sehen. Wenn du wirklich achtsam bist, dann bemerkst du die Quelle. Wie diese Konditionierung in dir entstanden ist, ist was dich diese Sache tun lässt. Und die Sache selbst, der Prozess des Sprechens, das ist nur negativ oder positiv aufgrund einer Bewertung einer anderen Person. Subjektiv bist du dieses erscheinende Wesen selbst. Du bist Liebe. Du bist… jedes Wort, das ich verwende, hat ein Gegenteil, und deswegen möchte ich sie gar nicht verwenden.
Lass uns auch daran denken, dass wenn du sagst „Nun, wenn ich da drüben etwas sehe das ich nicht mag, dann muss ich erkennen, dass das wegen etwas in mir ist”, so bedeutet das nicht, dass die Person da drüben keine Fehler hat, oder nicht etwas bösartiges tut, sondern dass das deren Problem ist um das sie sich selbst kümmern muss. Es ist meine Aufgabe, mich um die Konditionierungen in mir zu kümmern, die dafür sorgen, dass ich so reagiere wie ich es tue. Dieser Prozess des Entdeckens enthüllt das was verborgen ist. Dieses Sehen ist sehr schön, sehr bedeutsam. Das ist das Schöne am Leben zu sein. Das heißt es dein Leben zu leben. Wenn wir die Teile auslassen, über die wir uns nicht sicher sind, im Unklaren sind, über die wir verwirrt sind oder bei denen wir kein gutes Gefühl haben, dann verpassen wir den Großteil von allem. Dann können wir auf keinen Fall sagen, dass wir das Leben komplett leben, dass wir für alle Möglichkeiten offen sind. Okay?
Schüler: Hallo Sensei. Hallo euch allen. Wir hatten eine wundervolle Diskussion. Die Frage die wir haben ist: Wenn wir in einem Zustand von Universellem Geist sind, sehen wir dann Schönheit in allem und jedem? Werden wir dann nicht beeinflusst von negativen Einstellungen oder Verhalten des anderen? Der Grund warum wir das fragen ist, dass wir annehmen wenn wir in Ruhe sind, dann können wir die Schönheit sehen. Eine Person sagte, dass wenn sein Geist ruhig ist, dann kann er sehen wie die Person im Hintergrund seines schlechten Verhaltens leidet. Aber immer noch haben wir die Limitierung, dass wir es nicht akzeptieren können. Immer noch sehen wir darin nicht die Schönheit. Eine Person sagte, der Zustand wahrer Schönheit wäre diese Unterschiede oder Mechanismen zu überwinden, durch die wir in unserer Umgebung beeinflusst werden. Wenn wir in taiga sind oder den Zustand von Universellem Geist haben, können wir dann selbst darin die Schönheit sehen, und es nicht nur akzeptieren? Das ist unsere Frage.
Okay. Ich denke ich verstehe. Diese Sache mit der Ruhe kann uns leicht aufs Glatteis führen, wenn wir nicht vorsichtig sind. Wir suchen nicht nach einem neutralen Zustand, in dem alles OK ist. Wir sind menschliche Wesen. Ich denke dass ich diese Praxis von otomo so sehr mag, denn durch das viele mit meinem Lehrer leben, mit ihm zusammen sein, mit ihm verreisen, und einfach bei ihm sein, habe ich alle Seiten von ihm gesehen und nicht nur eine idealisierte Version von ihm als meinem Lehrer, sondern ihn als menschliches Wesen kennen zu lernen, ohne das er etwas dazu sagen musste, hat er mich beeinflusst. Wenn er sagte „Lebe das Leben vollständig“, dann meinte er alle Aspekte des Lebens. Er war nicht jemand der niemals zornig wurde oder niemals weinte. Ich habe ihn weinen sehen. Ich habe auch geweint. Wir lauschten einmal einem Opernsänger, ein junger Mann sang für uns zu einem Dinner in einem Restaurant, und er brachte uns beide zum weinen. Suzuki Sensei war sehr emotional und sehr liebend und sehr verbunden. Okay? Er war ein vollständiges menschliches Wesen in jedem Sinne. Er hat sich vor nichts gescheut. Aber du würdest niemals behaupten, dass er keinen ruhigen Geist gehabt hätte. Ich denke wenn wir etwas wie Aikido praktizieren, wie Geist-Körper Vereinigung, dann praktizieren wir in Wahrheit alles auf einer viel, viel tieferen Ebene zu erfahren. Also es so zu deuten indem man sagt: „Nun, wenn du jemanden siehst der sich dir gegenüber falsch benimmt, siehst du denn nicht mehr die Schönheit in ihm?“, ich denke das geht völlig am Ziel vorbei. Wir sind sowieso nicht hier für diese Art von Bewertung. Ich denke wir sind hier, um alles so innig und so tiefgreifend zu erfahren, wie unser Wesen dazu in der Lage ist. Je mehr wir uns der Erfahrung unseres Lebens selbst öffnen, nichts auslassend, umso mehr sind wir in der Lage, es auf einem tieferem und tieferem Level zu erfahren.
Schüler: Was du sagt ist, dass die Definition dieser Schönheit viel größer und tiefer ist. Erfahre einfach alles wie es ist. Ist das richtig?
Ja, genau. Schüler: Dankeschön.
Okay, vielen Dank. Ich denke das waren alle, und so sage ich noch einmal Dankeschön und gute Nacht. Domo arigato gozaimashita. Ich sehe euch dann am Sonntag Morgen.
(Online Training mit Christopher Curtis Sensei vom 16. Oktober 2020, Übersetzung: Olaf T. Schubert)