Tue Nichts

Shinichi Suzuki Sensei’s 
Vier Prinzipien

Was soll‘s? (engl.: So What?)
Tue Nichts 
(engl.: Do Nothing)
Sei natürlich 
(engl.: Be Natural)
Mach dir keine Sorgen, sei glücklich 
(engl.: Don’t Worry, Be Happy)

Onegaishimasu. Hallo zusammen.  Zuerst möchte ich das Shokushu #6 lesen. “Entspannung”, und dann werde ich etwas über das Thema “Tue Nichts” sagen. 

“Entspannung:

Wir sind daran gewöhnt, mit unnötiger Nervosität Probleme zu haben. Nervosität führt dazu, dass sich die Blutgefäße zusammenziehen, was es Verunreinigungen erschwert, den Körper zu verlassen, und so macht sie uns anfällig für viele Krankheiten. 

Entspannung ist wirklich ein Lebenselixier. Lasst uns die wahre Methode der Entspannung verbreiten, die es uns ermöglicht, jeden Tag wie eine milde Frühlingsbrise zu empfangen. Wenn wir dies praktizieren, müssen wir uns über unsere täglichen Ereignisse niemals aufregen oder nervös werden.”

Wenn man die Aussage “Tue Nichts” hört, denken manche Leute vielleicht, dass sie “überhaupt nichts tun” bedeutet. Aber es bedeutet nicht “überhaupt nichts tun”. Es bedeutet “Tue Nichts”. Wenn wir versuchen, irgendeine Veränderung herbeizuführen, stehen wir dem notwendigen Handeln oft im Weg und schaffen stattdessen ein verwirrendes Ergebnis. Um uns mit Menschen, Objekten oder Situationen wirksam zu verbinden, müssen wir aus dem Weg gehen und einfach zulassen, dass die Handlung durch uns stattfindet.  Das ist “Tue Nichts”. 

Wir sind es gewohnt, ein Bedürfnis zu sehen und uns dann darum zu bemühen, dieses Bedürfnis ins Leben zu rufen.  Das ist absolut vernünftig und sicherlich die Art und Weise, wie die meisten Menschen funktionieren. Wie wir Bedürfnisse wahrnehmen und verfolgen ist jedoch keine Nebensache, sondern das eigentliche Thema, wenn wir ein wahrer und effektiver Mensch sein wollen.

Verbindung

In unserem Leben dreht sich alles um Verbindung. Wenn wir morgens in Meditation sitzen, meditieren wir miteinander, weil wir in diesem Leben bereits alle zusammen sind.  

Hier ist eine Illustration für die Bedeutung dieser Aussage: Als ich das erste Mal nach Europa ging, um Aikido-Seminare zu unterrichten, war ich etwa einen Monat weg. Als ich in unser Shunshinkan Dojo hier auf Maui zurückkehrte, bemerkte ich, dass das Energieniveau im Dojo (wir nennen es das kiai) etwas niedrig war. Ich erwähnte dies gegenüber meinem Lehrer, Shinichi Suzuki Sensei, der sich damals bereits vom Unterrichten zurückgezogen hatte. Sensei sagte: “Warum ist das so? Ich bin sicher, dass du mit diesen Schülern in Europa eine großartige Erfahrung gemacht hast. Aber hast du nur die Schüler in Europa im Auge behalten oder hast du auch deine Verbindung mit diesen Schülern hier zu Hause beibehalten?” 

Das ist zwar schon viele Jahre her, aber dennoch, ich hatte davor schon eine ganze Weile unterrichtet und noch nicht verstanden, wie wir unsere Verbindung zueinander aufrechterhalten, wenn wir nicht am selben Ort sind. Wenn wir aus irgendeinem Grund physisch von anderen entfernt sind, haben wir manchmal das Gefühl, dass wir sie vermissen. Wenn wir physisch beieinander sind, halten wir das für die stärkste Verbindung, weil wir uns bei der Überprüfung der Realität so stark auf unsere Sinne verlassen.  Aber ist das wirklich der Fall?

Während der Covid-Pandemie war es uns oft nur möglich, Aikido über das Internet via Zoom zu üben. Natürlich sehen wir auf diese Weise ein Bild des anderen, aber wir sind nicht physisch zusammen. So stellen wir uns vor, dass wir bis zu einem gewissen Grad miteinander verbunden sind, aber weniger als in Person. Für die meisten von uns ist dies keine so starke Verbindung wie die physische Anwesenheit des anderen. Diese Zoom-Sitzungen erinnern uns so auch an etwas das wir vermissen.  Auch ein Telefongespräch kann uns einen Ruck zu mehr Verbindung geben, aber wir haben das Gefühl, dass es für uns im Allgemeinen am wenigsten effektiv ist. Bei all diesen Dingen hängt der Grad ihrer Wirksamkeit von der Wirkung ab, die sie auf unsere Sinne haben.  Wir sind der Meinung, dass unsere Sinne den ultimativen Hinweis auf unsere Fähigkeit zur Verbindung liefern.

Ich möchte jedoch vorschlagen, dass wir immer und bereits mit allem und jedem verbunden sind. Wenn wir in unserem Inneren hinter unsere Sinne in den intuitiven Bereich gehen, können wir eine tiefe Verbindung mit anderen entdecken, die in keiner Weise davon abhängt, dass wir in der physischen Gegenwart des anderen sind. 

Wenn wir lernen, diese tiefere Ebene der Verbindung miteinander zu erkennen und zu praktizieren, lernen wir auch einen neuen Weg, uns mit Ereignissen verbunden zu fühlen, die weit entfernt von unserem physischen Standort stattfinden. Gleichzeitig können wir eine noch tiefere Ebene des Verständnisses dafür entdecken, was es bedeutet, “Nichts zu tun” und trotzdem wirksam zu sein.  

Wenn wir mehr und mehr lernen, Nichts zu tun, erweitert und vertieft sich unsere Erfahrung mit der Welt um uns herum.

Einwände

Im Laufe unseres Lebens stellen wir vielleicht fest, dass wir nicht immer mit allem und jedem einverstanden sind, was sich in unserem Leben gerade abspielt. Wir sind nicht immer mit jeder einzelnen Idee oder Situation einverstanden, die uns begegnet, sei es in der Öffentlichkeit, bei unserem Ehepartner, oder sogar bei unserem Schüler oder Lehrer.  

Koichi Tohei Sensei hat uns gelehrt, dass es, wann immer eine herausfordernde Situation in unserem Leben auftritt, unabhängig davon, ob wir jemanden positiv oder negativ erleben, drei grundlegende Arten gibt, auf die wir reagieren.

Wir nennen diese drei Arten der Reaktion:

Option A, Option B und Option C 

Die erste, Option A, beschreibt den Einsatz von Gewalt bei dem Versuch, die Dinge für sich selbst zu verbessern. Nehmen wir an, wir sind mit jemandem nicht einverstanden. Während sich Option A im Allgemeinen auf die Anwendung von Gewalt bezieht, kann diese Option viel umfassender sein als das, was wir uns unter “Gewalt” vorstellen.  Der Einsatz jeglicher Form von Manipulation, Vorteil oder einer erlernten Machttechnik ist immer noch Option A. Wir könnten auch ein logisches Argument, Geld, die Macht des Status oder der Autorität oder sogar das Gesetz einsetzen, um unser imaginäres Bedürfnis zu befriedigen.  Wir können versuchen, diese Dinge einzusetzen, um die von uns gewünschte Veränderung herbeizuführen, vielleicht nicht nur bei einer einzelnen Person, sondern oft in der größeren Gemeinschaft unserer Nachbarn.

Wenn wir ein großes, starkes Land wie die Vereinigten Staaten, China oder Russland sind, egal ob nach innen oder außen, dann ist Gewalt meistens die automatische Antwort auf eine Herausforderung.  Wenn wir jedoch ein viel kleineres, weniger einflussreiches Land sind, müssen wir vielleicht auf andere Methoden der Manipulation zurückgreifen, um unsere Ziele zu erreichen. Aber auch hier bleiben die Taktiken meist in der Kategorie der Option A.

Bei der gesamten Option A geht es darum, “Etwas zu tun”, im Gegensatz zu “Tue Nichts”. Im Grunde bedeutet das, dass wir versuchen, eine Veränderung zu unseren Gunsten zu erzwingen.  Der kleine shoga-Geist ist der Teil von uns, der versucht, Veränderungen zu bewirken. Das unreife Ego identifiziert sich immer als “Verursacher” und sieht daher keine andere Wahl, als diese Methode immer wieder anzuwenden, egal wie oft sie zur Katastrophe führt.  Ganz gleich, wie klug, mächtig oder raffiniert wir sind, diese Methode versagt entweder sofort, oder wenn sie anfangs erfolgreich zu sein scheint, kommt sie später immer zurück, um uns zu beißen. 

Die zweite Möglichkeit, Option B, (die in unserer Gesellschaft nach Option A die zweitbeliebteste ist) besteht darin, sich zurückzulehnen und darauf zu warten, dass sich jemand anderes um ein Problem kümmert. Das kann ein Freund, ein Familienmitglied oder ein Arbeitskollege sein. Oder, was vielleicht noch häufiger der Fall ist, wir bitten einen Priester, einen Lehrer, die Regierung oder sogar Gott, unsere Schwierigkeiten für uns zu lösen. 

Diese Option B ist sehr leicht zu erkennen, wenn sie beim Aikido-Training auf der Matte auftaucht.  Jemand hält uns von hinten oder am Handgelenk fest, und wir warten darauf, dass das “Ki des Universums” uns bewegt oder unseren Partner dazu bringt, sich zu bewegen, als ob das “Ki” eine wohlwollende Kraft wäre, die dazu bestimmt ist, unsere kleinlichen Bedürfnisse zu erfüllen.  Das ist so, als würden wir vor eine Tür gehen und, anstatt den Türknauf zu drehen, um sie zu öffnen, die Tür anstarren und beten, dass sie sich aufgrund einer “anderen Kraft” auf magische Weise von selbst öffnet.  Das scheint in diesem Beispiel eine offensichtlich törichte und unvernünftige Erwartung zu sein, und doch tun wir das ständig auf weniger offensichtliche Weise.

Diese Option B besteht im Grunde darin, dass man in sich selbst kollabiert, sich als Opfer eines unvorhergesehenen Umstands betrachtet und hofft und betet, dass sich jemand anderes um das Problem kümmert, das wir in unserem Leben sehen. Es ist klar, dass diese Methode mindestens genauso unzuverlässig ist wie Option A.

Die dritte Option, die Tohei Sensei als Antwort auf eine Herausforderung anbietet, und dies ist die grundlegende Lehre unseres Aikido, ist Option C. Shinichi Tohei Sensei nennt dies eine “intensive Verbindung”. Das kann schwierig sein, aber wenn wir wollen, dass in unserem Leben eine Evolution stattfindet, ist das bei weitem der effektivste Weg. Außerdem ist diese “intensive Verbindung” vielleicht nicht das, was wir uns auf den ersten Blick darunter vorstellen.

“Lass immer den anderen gewinnen, dann werden wir die Ersten sein, weil wir die Letzten waren.”  Wenn wir diese Aussage verstehen können, dann haben wir bereits ein Grundverständnis dieser Lehre. Natürlich erfordert diese Herangehensweise eine vollständige Verbindung mit der Person oder Sache, die wir als Teil einer gewünschten Veränderung sehen wollen. 

Wenn wir im Aikido-Dojo jemanden bewegen wollen, können wir versuchen, Kraft, Macht, Gewalt einzusetzen, vielleicht sogar unseren Partner mit einer Überraschungstechnik auszutricksen (all das ist Option A), oder wir können in uns kollabieren und darauf warten, dass das “Ki des Universums” die Sache für uns erledigt (Option B). Aber wenn die andere Person es versteht sich mit uns zu verbinden, und daher unseren Geistes- und Körperzustand sehr genau verfolgt, wird weder Option A noch B funktionieren. 

Die Antwort darauf ist immer die gleiche. Wir verbinden uns einfach intensiv mit unserem Partner und unserer Umgebung. Selbst eine gotteszentrierte Religion sagt hier: “Gott hilft denen, die sich selbst helfen.” Wir müssen uns aufrichtig da sein, unser Herz und unseren Verstand öffnen, uns direkt mit den Absichten der anderen Person verbinden, und uns mit ihr auf eine gemeinsame Lösung zubewegen. 

Viele von uns haben vielleicht Bedenken, sich zu verbinden, wenn wir sehen, dass wir uns dafür unserem Partner gegenüber öffnen und verletzlich werden müssen. Das Letzte, was wir tun möchten, ist mit der Person zusammenzukommen, die wir als bedrohlich für uns empfinden. Das liegt daran, dass wir uns vorstellen, dass wir uns geistig, emotional und/oder körperlich verteidigen müssen, um nicht von dieser Person verletzt zu werden. Leider, so lernen wir im Aikido, bietet jeder Versuch, sich zu verteidigen, dem Angreifer die perfekte Gelegenheit, uns zu manipulieren und zu kontrollieren. Indem wir eine defensive Position einnehmen, machen wir uns automatisch zum Opfer und bieten dem Gegner den perfekten Hebel, um uns zu kontrollieren.

Das Letzte, was uns in den Sinn käme, wäre, uns mit jemandem zusammenzutun, der uns offensichtlich kontrollieren will. Das mag völlig kontraintuitiv erscheinen. Wenn wir jedoch den Mut haben, dies zu tun und uns mit dem “Anderen” zu verbünden, entdecken wir immer einen neuen Weg, einen, den wir vorher nie als Möglichkeit in Betracht gezogen haben. Natürlich sehen wir diese Art von Möglichkeit erst nachdem wir die innere Stärke erlangt haben, uns mit dem “Feind” verbinden zu können. 

Diese Art der Verbindung mit dem, was sich als Herausforderung für uns darstellt, ist das, was Suzuki Sensei mit “Tue Nichts” meinte. Diese dritte Wahl, Option C, erfordert die Bereitschaft, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben. 

Ein weiteres Beispiel dafür ist die dritte Stufe der Ki-Atmung, die wir “musoku” oder “kein Atmen” nennen. Das bedeutet nicht, dass es tatsächlich keine Atmung gibt. Es bedeutet, dass wir das Atmen nicht “tun”. Die Aktion des Atmens findet immer statt. Die Verwirrung entsteht, wenn der kleine Geist diese Handlung für sich beansprucht. Versucht einmal, ein paar Minuten lang nicht zu atmen. Unser Körper wird es einfach nicht zulassen. Er beginnt wieder zu atmen, sobald er Atem braucht, egal was passiert.  Einfach ausgedrückt: Es gibt niemanden zu entdecken, der etwas tut, und doch wird immer etwas getan!  

Kaisho, Gyosho und Sosho

Man hat uns gelehrt, dass der Entwicklungsprozess aus einer Anfangs-, einer Zwischen- und einer fortgeschrittenen Stufe besteht. Im Aikido nennen wir diese drei Stufen “kaisho“, “gyosho” und “sosho“. Wenn wir mit diesen drei im Hinterkopf üben, können wir ein anfängliches Schritt-für-Schritt-Stadium erkennen, viele Jahre später ein Könner-Stadium, und schließlich irgendwann vielleicht eine Meisterschaft in unserer jeweiligen Praxis. 

Shinichi Tohei Sensei charakterisiert diese drei Stufen der Praxis gerne wie folgt:

Kaisho: Form ohne Ki-Bewegung.
Gyosho: Form mit Ki-Bewegung.
Sosho: Ki-Bewegung ohne Form.

Kaisho, “Form ohne Ki-Bewegung”, bedeutet, dass wir selbst-bewusst jeder Bewegung des Körpers folgen, Schritt für Schritt, und uns vergewissern, dass wir bei jedem Schritt korrekt gemäß der Form handeln, die wir gelernt haben. Dieses ständige Beobachten verhindert natürlich das, was wir als “Ki-Bewegung” bezeichnen, also das natürliche Handeln ohne gedankliche Steuerung. Es ist jedoch eine wirksame und notwendige Methode, um sich eine Reihe von Bewegungen einzuprägen.

Wenn wir zu gyosho, “Form mit Ki-Bewegung”, übergehen, bedeutet dies, dass wir uns bewegen können, während wir uns der Form oder jeder einzelnen Bewegung unseres Körpers bewusst sind, aber wir lernen nun, die natürlich entstehende Bewegung zuzulassen. Dies sollte übrigens das Niveau unserer Ausführung bei jeder Dan-Prüfung oder bei der Ausführung von Taigi-Techniken sein.

Wenn wir schließlich in das sosho-Stadium übergehen, “Ki-Bewegung ohne Form”, bedeutet dies, dass wir uns frei bewegen, als unmittelbare und direkte Antwort auf die Situation, die sich in diesem Moment ergibt. In diesem Stadium finden innere Motivation und äußere Motivation gleichzeitig statt und nicht mehr mit der fälschlichen Unterscheidung von “hier” und “dort” oder “jetzt” und “dann”. Wir sagen: “keine Form”, aber das bedeutet nicht, dass unsere Bewegung keine jeweilige Form hat. Bewegung kann nicht ohne Form existieren. Es bedeutet lediglich, dass wir nicht an diese Form gebunden sind und uns daher nicht mit der Korrektheit oder Effektivität der Form beschäftigen. 

Auch hier ist dies „Tue Nichts“. 

Das Paradox

Die Praxis des friedlichen Lebens hier in diesem Körper besteht darin, “dem Weg des Universums zu folgen”, und dieser einfache, alltägliche Weg kann nur von einem sehr ruhigen, gelassenen Geist wahrgenommen werden.  Einen solchen Geist nennen wir den “taiga-Geist”, und das impliziert eine unendlich große und umfassende Sichtweise. „Der Weg des Universums” ist nicht „der Weg, der den kleinen Geist befriedigt”.  Ironischerweise ist dies der “hohe” Weg (engl.: high way), und niemals “mein” Weg (engl.: my way).

Und doch ist das Paradoxe hier, dass der Weg für jeden von uns völlig einzigartig ist, so wie jeder lebendige Moment in unserem Leben ganz allein unsere Erfahrung ist, und nicht die von irgend jemandem sonst. Wir sind das Zentrum unserer eigenen Welt der Erfahrung. Wir sind alles, mit dem wir in unserem Wahrnehmungsuniversum in Berührung kommen. Das sind alles wir. Die Gesamtheit unserer Wahrnehmung ist das, was wir das “Spiegeluniversum” nennen.  Dies zu erkennen und zu erfahren ist das, was Tohei Sensei “Eins werden mit dem Universum” nennt.  Das bedeutet, dass wir beginnen, den Bürgersteig, die Steinmauer, den sich ausbreitenden Baum, unseren Partner, alles, was wir erleben, als einen Teil von dem zu erkennen, was wir sind.  Wir beginnen zu erkennen und zu erfahren, dass nicht nur unser shoga-Selbst das ist, was wir sind, sondern alles jenseits von Handlung und Form. 

Alles sind wir. Wir sind bereits alles, was wir in diesem Moment sein können. Wir können nichts tun, um das zu ändern, was wir jetzt sind, außer durchzuhalten und aufmerksam zu sein, denn dieses Jetzt ist ständig im Fluss und hört nie auf. Deshalb werden wir in fünf Minuten anders sein, verändert, denn diese Welt, die wir sind, ist ein bewegliches Fest. In jedem Moment sind wir, was wir sind, und gleichzeitig ist dies ein Zustand ständiger Veränderung, eine automatische und ständige Umwandlung in das, was wir im nächsten Moment sein werden. Es hat keinen Sinn, zu versuchen, zu manipulieren oder zu erzwingen oder herauszufinden, oder auch nur herumzusitzen und zu hoffen und zu beten, dass es für dich getan wird. Öffne dich einfach vollständig und verbinde dich jetzt.

Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass dieses “Tue Nichts” sehr weit gefasst ist, in dem Sinne, dass es nicht auf eine bestimmte Handlung oder Nichthandlung beschränkt ist. „Tue Nichts“ ist ein Geisteszustand. Wir sollten uns also darüber im Klaren sein, dass „Tue Nichts“ nicht bedeutet, “überhaupt nichts zu tun” oder “etwas anders zu tun” oder “zu warten, bis man etwas tut”, oder dass es überhaupt etwas mit „Tun” zu tun hat. Nein. Es bedeutet, dass wir unserem Leben erlauben, seinen Weg mit uns zu haben. 

Wenn wir unsere eigenen Ansprüche zurückstellen oder zumindest für einen Moment auf Eis legen, dann können wir dem Universum erlauben, uns zu führen, zu uns zu sprechen, seinen Weg mit uns zu gehen.  Wir üben diese Offenheit mit unserem Lehrer, bis wir darin geübt sind, und dann brauchen wir den Lehrer nicht mehr so sehr. Solange wir nicht in der Lage sind, auf diese Weise zuzuhören, sei es mit unserem Lehrer oder mit jemand anderem, werden wir nie in der Lage sein, dies in uns selbst zu tun, und das Erwachen wird in weiter Ferne bleiben. 

Die Handlung, die wir ausführen, ist die, wer wir sind, wenn wir einen Raum betreten, nicht das, was wir tun, nachdem wir den Raum betreten haben. Wir kennen uns selbst als diese Handlung.  Dies ist nicht etwas, das wir tun, sondern etwas, das wir sind.

Keiko und Shugyo erkennen

Wenn wir irgendeinen spirituellen Weg oder eine Kampfkunst praktizieren, hören wir oft den Satz “Erkenne dich selbst”.  Das bedeutet unter anderem, dass wir in der Lage sein müssen zu erkennen, wann wir uns auf dem keiko-Level der Praxis befinden und wann auf dem shugyo-Level der Praxis, und dass wir in der Lage sein müssen, den Unterschied klar zu erkennen. Wir müssen in der Lage sein, zu unterscheiden, was in uns selbst vorgeht. Es ist nicht so wichtig, dass wir jemand anderem davon erzählen können, sondern nur, dass wir es selbst wissen, direkt. Wenn wir also mit Option A oder B reagieren, mit Gewalt oder mit Kollabieren, dann stehen wir uns wahrscheinlich selbst im Weg. 

Ich erzähle immer wieder die Geschichte von all den Jahren, die ich mit Suzuki Sensei verbracht habe, um vor dem Spiegel zu lernen, wie man mit dem bokken schneidet, weil sie dieses Paradox des Trainings so gut verdeutlicht.  Wenn ich während dieser ganzen Zeit nicht das Ziel gehabt hätte, gut zu schneiden, was das Beste am keiko-Training ist, wäre ich niemals all die Jahre dran geblieben. Ich träumte davon, mit dem Holzschwert wie mein Lehrer schneiden zu können, also blieb ich dabei.  Aber ich konnte es viele Jahre lang nicht erreichen, und schließlich entdeckte ich, dass ich es nicht erreichte, weil ich es so verzweifelt wünschte. Wenn wir etwas zu unserem Traum machen, schieben wir es in die Zukunft hinaus und lassen nicht zu, dass es hier und jetzt stattfindet. Es liegt immer irgendwo vor uns, und so kann es für uns nie real werden. Das, was wir jetzt sind, ist das, was wirklich ist. Das ist alles.  Das ist alles, was es gibt.

Und so müssen wir einerseits Ziele haben, wir müssen Pläne machen, und das bedeutet eine aufrichtige und disziplinierte keiko-Praxis. Ohne das würden wir die einfachsten Dinge nicht erreichen können. Natürlich brauchen wir es, aber wir dürfen nicht Sklave davon sein. 

Taiga:
Ich bin das Zentrum des Universums. 
Ich bin Geist und Körper in einem. 
Ich bin der ursprüngliche Lehrer. 
Ich bin universell und ich bin das Zentrum dieses Universums, das ich bin. 

Wie wir diese Dinge erleben, ist das Ergebnis der Entwicklung dieses in uns stattfindenden Erkennens. Dies ist die wahre “Evolution” in unserem Leben. Es ist Veränderung.  Es wird “der Weg” genannt. Jeder erlebt sein eigenes Level dieser Realität und geht mit ihr entsprechend seiner eigenen Fähigkeiten um.  Deshalb betonen unsere Lehrer immer wieder die drei Arten, mit Herausforderungen umzugehen, damit wir lernen können, diese verschiedenen Aspekte in uns zu erkennen und zu sehen, wann sie dominant sind und wann nicht. 

Das ist letztlich so sinnvoll. Es geht nicht darum, dass wir uns anders verhalten sollten als wir sind. Der Versuch, wie jemand zu handeln, der wir nicht sind, bringt uns nur in eine verwirrende Schieflage und frustriert uns, weil wir sind, wer wir sind, und niemand anders sein können. Wir müssen nichts mit unserem Selbst machen, und selbst wenn wir es versuchten, könnten wir es nicht, weil wir in jedem Moment genau das sind, was hier ist, nicht mehr und nicht weniger. 

Wenn wir jedoch dieser Realität dessen, was wir in jedem Moment sind, unsere Aufmerksamkeit schenken, was ist das dann wohl? Jetzt praktizieren wir shugyo.  Und wenn wir heute shugyo praktizieren, indem wir in jedem Moment, in jeder Handlung darauf achten, was wir sind, dann werden wir morgen noch besser darin sein, aufmerksam zu sein, noch besser darin, in der shugyo-Praxis zu bleiben. Alle Veränderungen entstehen durch Achtsamkeit, durch Bemerken.

„Tue Nichts“  Tun

Schüler:  Ich glaube, ich verstehe das Grundprinzip, aber wenn es um meine Handlungen im täglichen Leben geht, scheine ich nicht in der Lage zu sein, es zu tun. Ich weiß nicht, wie ich zu diesem Zustand des “Tue Nichts” finden kann. Ich will immer etwas erreichen.

Alles geschieht durch Bemerken. Dieses Bemerken, das Gewahrsein, ist der Motor unserer wahren Verbindung mit dem Universum. Wenn wir uns selbst aus dem Weg gehen und ruhig im Gewahrsein ruhen, dann erlauben wir dem Universum, unser Leben zu leben, indem wir ihm erlauben, seinen Weg mit uns zu gehen. Das macht uns nicht weniger. Es erlaubt uns die Erfahrung, das Zentrum des Universums zu sein, ohne es zu versuchen. Nur das Zentrum kann zulassen, dass alles eins ist, und das ist unser natürlicher Zustand. Nur das Zentrum kann nichts tun und gleichzeitig alles erledigen, was zu erledigen ist!

Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Welt aus Konflikten besteht. Es gibt immer eine Sache gegen eine andere. Natürlich ist dieser Konflikt nicht unbedingt nur eine intellektuelle Gegenüberstellung der Denkweisen zweier Menschen, die in einer sehr schönen friedlichen Umgebung leben. Manchmal ist er hartnäckig und aggressiv, und er kann sogar gewalttätig sein. Die Quintessenz ist, dass es in dieser Welt immer Konflikte gibt. Die gute Nachricht ist, dass wir uns nicht zwangsläufig an diesem Konflikt beteiligen müssen. Wenn wir es tun, bedeutet das, dass der Konflikt durch uns gefördert wird.  Aber wir sind in keiner Weise verpflichtet, an einem Kampf teilzunehmen, sei es mit einer Idee, einer Person oder einer Situation. Wir machen das Problem eines anderen nicht zu unserem Problem. Wir sind nicht gezwungen, ein Opfer der Probleme oder Werte eines anderen zu sein. 

Selbst wenn wir uns inmitten eines Streits befinden, können wir immer noch darauf achten, was geschieht. Suzuki Sensei pflegte zu sagen: “Befinde dich nicht unten auf der gleichen Ebene wie dein Gegner. Sei oben drüber und schaue nach unten, wie beim Lösen eines Puzzles.”  Wir müssen unsere Perspektive ändern, um zu sehen, wie die Teile zusammenpassen.  Wir lassen unseren Gegner unten sein, aber wir bleiben im Bewusstsein, oben. Unser Körper und unser kleiner Verstand sind vielleicht sogar bei der anderen Person unten. Aber derjenige, der das Zentrum des Universums ist, ist hier oben als taiga, der immer wahrnimmt, immer bewusst ist, immer entspannt ist und immer friedlich das große Ganze sieht.

Deshalb hat Koichi Tohei Sensei immer gesagt: “Wahre Gelassenheit ist kein statischer Zustand.”  Wahre Ruhe erfährt man nicht, wenn man allein auf der Couch sitzt. Wahre Ruhe entdeckt man nur inmitten von Konflikten, in superstressigen Bewegungen. Er sagt, es ist, als wäre man im Zentrum eines Wirbelsturms, sehr ruhig. Seid euch bewusst, dass die Ruhe durch die enorme Kraft entsteht, die sich um euch herum bewegt, und nicht dadurch, dass ihr dieser Kraft ausweicht.  Wir können lernen, in der Gegenwart eines großen Konflikts zu sein, der sehr beunruhigend ist, und dennoch ruhig in unserem Zentrum zu bleiben. Wie? Üben, üben, üben. 

Denkt daran, dass wir alle immer etwas praktizieren, in jedem Moment.  Was auch immer wir jetzt gerade tun, wir werden dazu neigen, morgen mehr davon zu tun, und zwar auf eine stärkere Weise.  

Unsere “Tue Nichts”-Übung besteht einfach darin, zu bemerken, was vor sich geht, aufmerksam zu sein, egal was passiert. Das ist der Schlüssel. Im besten oder im schlimmsten Moment, wenn unser Leben erfolgreich ist und gut läuft, oder wenn wir der größte Narr sind, der wir sein können. Wir versuchen nicht, etwas zu ändern. In diesem Moment “Tue Nichts!”