Musoku – leerer Raum

Guten Morgen euch allen. Onegai shimasu. Wie schön euch alle zu sehen. Ich werde heute früh den Spruch über Ki-Atmung lesen, Shokushu Nr. 15. 

„Der Atem strömt aus, und erreicht alles im Universum und die gesamte Menschheit. Der Atem strömt herein, und fällt in einen unendlich kleinen Raum im Unterbauch. Ki-Atmung ist die unbekannte Praxis, die dich mit dem Universum eins werden lässt.
Wenn du dies nachts tust, wenn das Universum ruhig und still ist, dann wirst du dich fragen, ob du das Universum bist, oder ob das Universum du ist. Mit anderen Worten, du wirst das ultimative Glück des Einsseins mit dem Universum erfahren. In diesem Moment wird die menschliche Lebensenergie vollständig aktiviert.” 

Ki-Atmung, Ki no Kokyuho, hat drei Stufen: Ganzkörper-Atmung, Universelle Atmung, und Musoku, oder Nicht-Atmen. 

Ganzkörper-Atmung ist wenn wir von unseren Zehenspitzen her einatmen und unseren Körper bis zum Scheitel auffüllen, und  ausatmen indem wir unseren Körper leeren vom Scheitel zu den Zehenspitzen. Das ist die erste Stufe, Ganzkörper-Atmung. 

Und dann, die Stufe auf die sich Tohei Sensei hier im Shokushu bezieht, ist Universelle Atmung. Wenn du Ganzkörper-Atmung übst, und du anfängst die Wahrnehmung von dir zu verlieren, von dir als in diesem Hautsack eingeschlossen, dann fängst du automatisch an Universelle Atmung zu praktizieren. Wenn der Atem ausströmt, dann strömt er unendlich und füllt das gesamte Universum, und er sagt „die gesamte Menschheit”. Und dann, wenn der Atem hereinkommt, dann kommt all das in deinen Onepoint und füllt dich.

Nun, dies sind die zwei Stufen, die die meisten Leute praktizieren. Aber oft fragen die Leute zur dritten Stufe, Musoku oder Nicht-Atmen, und was das bedeutet. Manchmal sage ich es bedeutet „keine Person atmet”,  oder „keiner atmet”. Um das vielleicht ein wenig besser zu verstehen, müssen wir uns den Raum anschauen. 

Raum ist Leere. Mit anderen Worten, Raum läßt Platz für die Möglichkeit für Alles um in Existenz zu treten, zu erscheinen. Alle Handlungen finden im Raum statt, und kraft des Raumes. Alles existiert im Raum. Dein Körper kann hier existieren wegen Raum. Wenn da kein Raum wäre, dann könnte da kein Körper sein. Also ist Raum das was es allem ermöglicht zu sein. 

Wenn du konzentriert bist auf das Einatmen und Ausatmen, dann bist du diese Handlung. Richtig? Es ist nicht nur du, der die Handlung vollzieht. Versuche zu sehen, dass du diese Handlung bist. Was immer wir in jedem Moment tun, das sind wir. Also bist du in diesem Moment ein „Atmer“, da du einatmest und ausatmest. Aber wenn du stattdessen im Raum ruhst (und du kannst das heute ausprobieren), zwischen den Atemzügen, und im Hintergrund der Atemzüge, in dem Raum oder der Leere die die Möglichkeit erlaubt, dass da der Atem sein kann, dann wirst du zu diesem, und das nennen wir Musoku. Dann bist du Kein-Ding, Kein-Atmendes-Ding, Keine-Handlung. Kein handeln, nur sein. Leere.

Okay? Lasst uns ein wenig Ki-Atmung machen. 

20 Minuten Ki-Atmung
12 Minuten Ki-Meditation
13 Minuten Ganzkörper-Meditation 

Nun, wenn ihr ein wenig in der Lage wart zu erfahren, in eurer Atmung, den Raum zwischen dem Atmen und hinter dem Atmen, dann habt ihr wahrscheinlich bemerkt, dass der Raum nicht stoppt. Er ist nicht irgendwo nur in eurem atmenden Körper. Raum ist was allem die Möglichkeit erlaubt hier zu sein. Nicht nur dem Klang dieser Glocke, zum Beispiel, in der Ki-Meditation, sondern sogar auch zu fühlen, dass dieser Punkt zwischen den Augen und der Eine Punkt im Unterbauch das gleiche sind, in der Ganzkörper-Meditation. Mit anderen Worten, selbst Gedanken und Empfindungen können nur dank des Raumes stattfinden. 

Wir sehen mit unseren Sinnen, und wir hören mit unseren Sinnen, Objekte oder Geräusche. Aber wenn du das Objekt zerlegst, dann besteht es aus Atomen. Und wie jeder weiß, bestehen Atome zu 99% aus Raum, mit klitzekleinen subatomaren Teilchen weit, weit, weit auseinander, und immer in Bewegung. Das gleiche mit dem Ton der Glocke. Wenn du ihn zerlegen könntest und ihn dir ganz genau anschaust, ist er fast nur Raum. So ziemlich alles ist Raum, Leere. 

Und das ist es, warum Tohei Sensei Musoku als die dritte Stufe der Erfahrung oder Praxis von Ki-Atmung hinzugefügt hat. Wisst ihr, wenn ihr anfangt davon einen flüchtigen Eindruck zu bekommen, was ihr vielleicht heute schon hattet, dann ist das nur der Anfang davon zu sehen wie all das funktioniert. Wenn wir lernen können in der Leere zu ruhen, in dem Raum zu ruhen der es allem erlaubt zu sein, und sehen, dass dies nicht separat von uns ist, wir dies tatsächlich sind, wir sind der Erbringer, wir sind der Ermöglicher, wir, sind die Stammeltern.

Okay, das ist, wie immer, reichlich. Charles Boyer bitte, Mr. Boyer. 

Charles: Guten Morgen, Sensei. 

Nun, was ist mit dem Raum, Sensei? 

Charles: Dankeschön. Ja, ich habe damit heute morgen gesessen, nachdem du darüber am Anfang der Stunde gesprochen hattest. Und nun machen mich deine Anmerkungen eben gerade noch neugieriger darauf, auf diese Idee der „Ermöglicher“ zu sein. Also der Raum ermöglicht es allem zu erscheinen. Was ist mit Bewusstsein? Mit anderen Worten, Bewusstsein scheint die Möglichkeit für Gedanken und solche Dinge zu kreieren, sind also Bewusstsein und Raum verwandt? Sind sie das gleiche?

Nun, okay, Danke. Eine sehr interessante Frage. Lasst uns das ein wenig anders betrachten. Angenommen es gibt freie Wahl, und dann gibt es da freie Wahl. Genau wie es Musik gibt, und dann gibt es da Musik. Genau wie es Geschmack gibt, und dann gibt es da Geschmack. Alles gibt es gewissermaßen in Abstufungen, nicht wahr? Freie Wahl kann sein, eine Sorte Frucht anstatt einer anderen zu auszuwählen. Das ist ein ziemlich simples Beispiel von freier Wahl. Aber freie Wahl kann auch sein, Plus anstatt von Minus auszuwählen. Und noch weiter in dieser Richtung, freie Wahl kann auch sein, zu denken oder nicht zu denken. Versteh mich nicht falsch, ich meine nicht den Willen zu denken oder nicht zu denken. Ich meine zu wählen der Denker zu sein, oder derjenige zu sein, der es dem Denken erlaubt stattzufinden, der Raum zu sein hinter dem Denken. Und während all dem, ist da Gewahrsein. Wo du „Bewusstsein“ sagst, könnte ich auch das Wort „Gewahrsein“ benutzen.

Alles kommt hoch aus diesem Bewusstsein, diesem Gewahrsein. Also in diesem Sinne könnte man meinen, dass dann Bewusstsein das gleiche wie Raum sein muss. Aber es gibt ein Wort für Bewusstsein, und ein anderes Wort für Raum. Sie sind nicht das gleiche. Bewusstsein ermöglicht dem Raum, dass er einen Körper ermöglichen kann, und das der Körper Handlungen ermöglichen kann, Leben und Tod. Das ist warum ich sagte, wenn du davon eine kleine Erfahrung haben kannst, auch nur eine ganz kleine in der Ki-Atmung, und dich diesem Raum hingeben kannst der nicht von der Aktion des Einatmens und Ausatmens dominiert wird, dann bekommst du einen kleinen Einblick in die Realität. Du hast einen flüchtigen Blick hinter den Vorhang. Du hast einen flüchtigen Blick vom Unsichtbaren. Du erfährst wahre shugyo Praxis. Das ist was ich mit shugyo Praxis meine. Manchmal nenne ich es „im Unsichtbaren ruhen“. Okay? Das gibt dir genug um damit zu sitzen. 

Weißt du, das ist eine Sache bei der es sehr gesund ist, sich einfach immer noch zu fragen was es damit auf sich hat. Selbst nur ein wenig Raum für Nachsinnen zuzulassen, solange du dabei nicht zu sehr einen auf „Schlaumeier“ machst. Du weißt was ich meine. Du möchtest sicherstellen, dass du deiner Intelligenz erlaubst für dich zu arbeiten. Lass dich nicht in deiner Intelligenz verstricken. Verliere dich nicht in „was ist wenn es dies ist oder was ist wenn es das ist“. Dies ist die Art von Spekulation die wirklich nutzlos ist, und dich einfach noch mehr in die Verwirrung treibt. 

Ich möchte, dass du in der Leere ruhst. Weisst du, jetzt haben wir diese pixelierten Fotos. Nun, auch was wir gerade jetzt sehen ist pixeliert, und je mehr Pixel da sind umso klarer ist das was wir sehen. Andererseits, wenn du sehen kannst, dass ein Pixel hier ist und ein anderer hier drüben und noch einer ganz weit da drüben, dann kannst du wirklich sehen was hier geschieht. Es ist eine Illusion, eine sehr attraktive Illusion, weil sie so nützlich ist. Unsere Sinne sind so wichtig in unserem täglichen Leben, weil sie diktieren was für uns nützlich ist, was attraktiv ist, was nötig ist, an was wir angehaftet sein wollen. Aber im wahren Spiel des Lebens ist das der Grund, warum sie das eine „Illusion“ nennen. Es zerrt uns weg von der Realität, nicht hin zur Realität. Das ist sehr wichtig. 

Möchte noch jemand anderes etwas sagen, eine Frage stellen? Das wäre gern gesehen. Bewirkt das nicht, dass du auch eine eigene Frage stellen willst? Du kannst sie mit uns teilen, wenn du möchtest. 

Schüler: Aloha Sensei. Ich schätze das wirklich was du gerade über Illusion gesagt hast, und wie uns die Illusion von der Realität wegzieht. Könntest du darüber noch ein wenig mehr sprechen? Dankeschön. 

Kennst du die Geschichte davon wie der Buddha unter dem Feigenbaum saß, und endlich sehen konnte was vor sich geht? Als er aufstand und sich vom Baum entfernte, so besagt die Geschichte, da kamen die Götter zu ihm und sagten „Okay, und nun musst du das jeden auf dieser Erde lehren.“  Und er war entsetzt. Er war bestürzt. Er sagte „Auf keinen Fall wird das irgendjemand jemals glauben. Das ist das Gegenteil von dem was alle denken was hier geschieht.“ Das ist was er meinte. 

Mit anderen Worten, es ist sehr schwer etwas anzunehmen, das deine Sinne bestreitet. Weil wir im Allgemeinen durch unsere Sinne leben. Im Körper lebend, geht es so dass wir uns herum bewegen können, so gehen wir durch unser Leben, so überleben wir. Also sind sie essenziell, aus dieser Perspektive betrachtet. Aber wenn wir sehen wollen was hinter dem Vorhang ist, den unsere Sinne kreieren, dann müssen wir die Dinge etwas anders betrachten. Wir müssen willens sein, diesen notwendigen Glauben ein wenig auf die Seite zu bewegen, ihn einfach beiseite zu schieben. 

Und das ist es worum es beim Ruhen in diesem Raum geht. Das ist shugyo zu praktizieren, zu praktizieren leer zu sein von irgendwelchen Eigenschaften, nur für einen Moment. Okay? 

Okay, habt einen schönen Sonntag. Domo arigato gozaimashita. Vielen Dank für euer Kommen. Bye bye. 

(Online Training mit Christopher Curtis Sensei vom 1. November 2020, Übersetzung: Olaf T. Schubert)