Gewicht an der Unterseite

Koichi Tohei Sensei’s
Vier Grundprinzipien

In einem Punkt ruhen
Vollständig entspannen
Das Gewicht liegt an der Unterseite
Ki dehnt sich unendlich aus

Onegaishimasu. Guten Abend, alle zusammen. 

Schüler:  Guten Abend, Sensei. 

Heute Abend geht es um das dritte der Vier Grundprinzipien, „Das Gewicht ist an der Unterseite”. 

Fünf Prinzipien der Ruhe (Gewicht an der Unterseite):

1. Eine Haltung, die am bequemsten ist.
2. Eine Haltung, in der sich dein Körper leicht anfühlt. 
3. Eine Haltung, in der dein Ki vollständig ausgedehnt ist. 
4. Eine flexible Haltung, in der du dich an sich verändernde Umstände anpassen kannst. 
5. Eine Haltung, in der du die Dinge klar sehen und fühlen kannst.

Als meine japanische Schülerin Sayaka Reasoner und ich daran arbeiteten, fiel mir zum ersten Mal auf, dass es nicht “Die fünf Prinzipien des „Gewichts an der Unterseite” heißt. Es heißt: “Die fünf Prinzipien der Ruhe”. Die Worte „Gewicht an der Unterseite” stehen dort nicht. Das bedeutet natürlich nicht, dass Tohei Sensei das nie gesagt hat.  Wir haben gehört, wie er den Begriff „Gewicht an der Unterseite” sehr oft verwendet hat.  Wie dieser wichtige Grundsatz jedoch inkorrekt übersetzt wurde, ist nicht bekannt.  

Ich denke, es ist wichtig zu erkennen, dass diese fünf Aspekte der Ruhe durch unseren Geisteszustand wirken und nicht nur durch eine Veränderung, die wir nur in unserer körperlichen Haltung vornehmen.

Wie entsteht also diese Ruhe in uns?  Ruhe entsteht nicht von selbst, sondern ist eine Nebenwirkung einer Handlung. Die Handlung, die immer zu Ruhe führt, ist das Gewahrsein, die Aufmerksamkeit. Ruhe entsteht durch Aufmerksamkeit. Wann immer wir auf etwas aufmerksam sind, [Taube gurrt draußen] wie zum Beispiel auf den Klang dieses Vogels dort, werden wir ruhig. Wenn wir dem Klang des Vogels zuhören, bekommen wir ein reiches, sanftes Gefühl in unserem unteren Bauch. Es fühlt sich ruhig an. 

Dieses Gefühl ist eine Art Nebeneffekt der Achtsamkeit. Wir denken oft, dass ein Nebeneffekt etwas ist, das danach kommt.  Aber in diesem Fall kommt die Ruhe nicht nach der Aktion der Aufmerksamkeit, sondern sie geschieht gleichzeitig, während des Ereignisses.  Sie begleitet die Handlung. Interessant ist jedoch, dass es nicht funktioniert, wenn wir versuchen, ruhig zu sein.  Wenn wir aber einfach nur auf etwas achten, dann sind wir schon ruhig.  Mit anderen Worten: Wenn wir aufmerksam sind, sind wir ruhig. Wir können nicht aufmerksam sein, ohne ruhig zu sein. Wenn wir versuchen, ruhig zu sein, ohne aufmerksam zu sein, d.h. Ruhe zu wollen, gibt es keine Ruhe, da es nichts gibt, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten können. 

Wenn wir üben, finden wir eine unendliche Anzahl von “Dingen”, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken können.  Viele Menschen lehren zum Beispiel Meditation mit einer Kerzenflamme, die uns etwas gibt, auf das wir unsere Aufmerksamkeit richten können, und so werden wir ruhig. Wir machen Ki-Atmung, und indem wir auf dieses Aus- und Einatmen achten, haben wir ein Gefühl tiefer Ruhe. Wir machen Ki-Meditation, und indem wir der universellen Ausdehnung und dann der universellen Kontraktion tiefe Aufmerksamkeit schenken, werden wir sehr ruhig. Ich habe eine Schriftrolle an der Wand meines Meditations-Raumes zu Hause, und oft öffne ich meine Augen und richte meine Aufmerksamkeit auf die Schriftrolle, manchmal wiederhole ich die Worte für mich selbst, immer wieder, und manchmal schaue ich sie einfach nur an: 

“Masa Katsu A Gatsu Kachi Haya Bi” = “Wahrer Sieg über das Selbst transzendiert Zeit und Raum”.

Dies sind Beispiele für Achtsamkeit. Wenn wir wirklich lernen, zu jeder Zeit in der Achtsamkeit zu sein, lernen wir, in einem Zustand der Ruhe zu sein.  Wenn wir einfach in diesem Gewahrsein ruhen, brauchen wir oft nicht einmal ein Objekt für dieses Gewahrsein zu haben.  Wir nennen dies “objektloses Gewahrsein”, und dies erzeugt die tiefste Ebene der Ruhe. Letztendlich brauchen wir kein “Ding”, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken.  Aufmerksamkeit, oder Gewahrsein, ist der ursprüngliche und natürliche Zustand des Geistes selbst. Deshalb fühlt es sich so gut an, wenn wir Ruhe erfahren, weil sie immer mit diesem natürlichen Zustand einhergeht.  

Ruhe ist kein selbst-bewusstes Ding. Wenn wir sagen: “Oh schau, jetzt bin ich wirklich ruhig”, dann ist sie bereits ein bisschen gestört. Sobald wir denken: “Ich bin ganz ruhig”, sind wir vielleicht einigermaßen ruhig, aber es gibt eine kleine Störung, die wir da hineinlegen. Wenn es nicht selbst-bewusst ist, nicht auf sich selbst fokussiert ist, dann ist Gewahrsein einfach ein Zustand des Seins. Es ist nicht der Akt des “Anschauens”. Es ist nicht das Schauen auf etwas, das zwei macht, mich und meine Ruhe. Das ist keine wahre Ruhe. Wahre Ruhe ist lediglich, in ihr zu sein, ohne sich von ihr abzusetzen.  Ein Zustand des Gewahrseins ohne jegliches Objekt ist einfach der reine, ursprüngliche, natürliche Zustand des Geistes, und ich verstehe diese Erfahrung als das, was Tohei Sensei meint, wenn er von “wahrer Ruhe” spricht. 

Manchmal lehrte Tohei Sensei den unhebbaren Arm.  Das ist die dritte Bewegung in unserem Ki-Test.  Später in diesem Test haben wir auch einen unhebbaren Körper. Das sind Tests, die den Zustand unseres Geistes überprüfen. Deshalb nennt er es „Gewicht an der Unterseite”, wegen der Erfahrung, wenn jemand versucht uns anzuheben. Dies ist kein Gefühl der Schwere. Im Gegenteil, es ist ein Gefühl der Leichtigkeit, des Auftriebs. Tohei Sensei sagt hier: “eine Haltung, in der sich dein Körper leicht anfühlt”. Wenn du zum Beispiel versuchst, deinen Arm schwer zu machen, und dann dich jemand testet, indem er deinen Arm von unten nach oben drückt, dann wirst du darauf reagieren indem du dagegen nach unten drückst, und so den Test nicht bestehen.  Ein natürlicher Zustand ist ein nicht-selbst-bewusster Zustand.  Mit anderen Worten: Wir versuchen nicht, uns schwer zu machen.  Wir versuchen nicht, irgendeinen Zustand zu verändern.  Wenn wir uns in unserem natürlichen Zustand befinden, haben wir das Gefühl von Leichtigkeit.  Das ist es, was Tohei Sensei die „Gewicht an der Unterseite” nennt.

Bequem, leicht, voll ausgedehnt, flexibel, bereit, sich an alle Umstände anzupassen, und alle Dinge klar zu sehen, sind natürliche Geisteszustände, die auftreten, wenn wir uns in einem tiefen Gefühl der Ruhe befinden. Wir mögen die Worte „Gewicht an der Unterseite”, weil es sich so anfühlt, als ob jedes Atom in unserem Körper in seinem natürlichen Zustand ruht. Wenn du versuchst, mich zu heben, und ich “behalte das Gewicht an der Unterseite”, dann wirst du mich nicht heben können. Für dich werde ich mich sehr, sehr schwer anfühlen. Aber für mich fühle ich mich nicht schwer. Ich fühle mich sehr leicht und beschwingt. Wir können das nur verstehen, wenn wir es selbst erleben.

Okay, ich denke, das ist alles, was ich zur Einführung über das Gewicht an der Unterseite oder die Ruhe zu sagen habe, also bitte, nun tragt ihr etwas zur Diskussion bei. 

Schüler:  Sensei, wenn du das Gewicht an der Unterseite erfährst, kannst du dann sagen, dass du dich “geerdet” fühlst? 

Hmmm. Meine persönliche Erfahrung ist, dass ich, wenn ich mit dem Gewicht auf der Unterseite stehe, das Gefühl habe, dass ich ganz und gar ein Teil der Matten unter meinen Füßen und der umgebenden Luft bin. Vielleicht können wir das nicht relativ beschreiben, weil es so etwas im relativen Zustand nicht gibt. Es fühlt sich an, als ob die ganze Erde meine Füße sind.  Aber die Luft um mich herum fühlt sich auch so an, es ist also nicht nur ein Gefühl von Bodenständigkeit, das mit dem Boden zu tun hat, also vielleicht nicht so sehr “geerdet”, wie du sagst, sondern ein Gefühl der vollständigen Verbindung mit der Luft und den Wänden und dir, den Menschen um mich herum, mit allem. Wenn ich völlig entspannt und verbunden bin, dann fühlt es sich so an.  In diesem Zustand ist was du überall erlebst “du”.

Schüler:  Bedeutet das zu wissen, dass wir das Zentrum des Universums sind? 

Ja, natürlich, in unserem natürlichen Zustand ist das für uns alle so. Wir können das nicht immer fühlen oder diese Erfahrung machen. Wenn wir zum Beispiel abgelenkt sind, indem wir darüber nachdenken, dann spekulieren wir einfach und sind nicht wirklich aufmerksam. Achtsamkeit bedeutet wiederum, im gegenwärtigen Moment zu bemerken, gegenwärtig aufmerksam zu sein und nicht auf etwas zu achten, das uns von der Gegenwart wegführt.  Das ist die völlige Abwesenheit von Spekulation.  Obwohl ich sagen möchte, dass es möglich ist, über eine Handlung, die wir in der Vergangenheit erlebt haben, oder über die Art von etwas, das in der Zukunft geschehen könnte, zu kontemplieren, ohne dass dies zu einer Ablenkung wird. Wir können das tief kontemplieren, indem wir es auf uns wirken lassen und nicht versuchen, eine Geschichte ÜBER uns oder jemand anderen daraus zu machen. Auf diese Weise bleiben wir beim Bemerken, welches immer in der Gegenwart ist.

Ein gutes Beispiel dafür ist, dass du vielleicht am Computer sitzt und schreibst, und etwas schreibst, das für einen anderen verletzend sein könnte, oder das irgendwann in der Zukunft als solches missverstanden werden könnte.  Natürlich willst du nicht verletzend sein, und so erfährt das Gefühl in deinem verbundenen Körper sofort eine Störung. Du empfindest das als eine Art Alarm, der in deinem Körper losgeht, sobald das passiert.  Nun, ich würde sagen, du solltest das besser in deinem Körper spüren, denn wenn du das nicht tust, schickst du diese E-Mail vielleicht an jemanden und führst ihn in die Irre, und jemand wird vielleicht unnötig verletzt. Manchmal sind Schüler ziemlich unhöflich zu mir, auch wenn sie es wahrscheinlich nicht so meinen, weil sie mir schreiben, ohne dass dieses Alarmsystem aktiviert ist. Und in meinem Fall muss ich ihnen antworten, und ich möchte sie unterstützen und ihnen helfen. Ich antworte sehr oft auf die Frage von jemandem, und wenn du das liest, könntest du meinen es wäre “politisch”.  Aber das, wovon ich spreche, ist oft viel tiefer als das.  Du musst in einem Zustand sein in dem du achtsam bist, sobald du beginnst, etwas Negatives zu sagen. Das ist ein äußerst wichtiger natürlicher Geisteszustand, und ich würde sagen, dass es sehr schwierig ist, andere ohne diesen Zustand zu führen. 

Schüler: Vielen Dank, Sensei. 

Schüler:  Also, Sensei, wann hast du das erste Mal das Gewicht an der Unterseite erfahren?  War es mit Suzuki Sensei in einem Training, oder war es vorher, oder war es, als du irgendwann mit Tohei Sensei zusammen warst? 

Eigentlich war es schon vorher, bevor ich Tohei Sensei oder Suzuki Sensei traf, obwohl ich damals keine Ahnung hatte, dass es sich um das „Gewicht an der Unterseite” handelte.  Ich war in New York City, als ich etwa 25 Jahre alt war. Ich hatte keine Unterweisung in wahrer Ruhe erhalten, aber ich saß viel und hatte mich gerade an die Meditation gewöhnt. Eines Tages kochte ich gerade mein Abendessen und schnippelte Gemüse in der Küche, als jemand unerwartet und sehr laut an meine Tür klopfte, und alles machte einfach “Puff”, und mein Bauch entspannte sich zum ersten Mal völlig. Es fühlte sich an, als würde sich mein Bauch plötzlich bis zu seinem Boden öffnen, und ich erlebte zum ersten Mal seit meiner Kindheit eine Art der Fülle des Seins. Später wurde mir klar, dass ich mir den Bauch immer von innen festgehalten hatte, und zwar schon so lange ich denken konnte. Ich hatte alles drinnen festgehalten um so sicherzustellen, dass alles in Ordnung war. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, die Dinge kontrollieren zu müssen, und in diesem Moment verliess mich das, ganz plötzlich, “bumm!”.  

Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich wirklich einen winzigen Einblick in meinen natürlichen Zustand bekam.  Es war alles sehr glückselig, aber in dem Moment auch verwirrend.  Ich hatte keine Ahnung, was vor sich ging, weil es so ohne Bedeutung war die für mich zu diesem Zeitpunkt einen Sinn ergeben hätte, außer dass es ein ganz wunderbares Gefühl war. Ich fühlte mich frei, zum ersten Mal seit meiner Kindheit. Tatsächlich fühlte es sich genau so an, als wäre ich wieder ein Kind.  Es dauerte nur sehr kurz an, gerade bis ich anfing, darüber nachzudenken und zu versuchen, herauszufinden, was los war, und damit baute sich alles wieder auf. 

Ich sag dir was. Das war nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert ist. Ich habe meine ersten Jahre auf einer Ranch verbracht und konnte die meiste Zeit allein sein.  Es gab diesen wunderschönen Bach, der durch die Ranch floss, mit riesigen alten Pecannussbäumen und Eichen, und es gab Füchse und Waschbären, und Fische im Bach, und Bambushaine, und all diese unglaubliche natürliche Welt, und ich konnte jeden einzelnen Tag den ganzen Tag lang in dieser Umgebung allein sein. Nachdem ich jeden Morgen meine Hausarbeit erledigt hatte, ließen mich meine Eltern die ganze Zeit damit verbringen. Es gab einen Feldweg, den ich entlangging, um zum Bach zu gelangen. Und heute, gerade heute Morgen, ging ich einen ähnlichen Feldweg entlang, oben auf einer Baustelle in Kula, und als ich diesen Feldweg entlangging, erkannte ich das Gefühl, das ich damals als Kind hatte, nämlich diese Freiheit, dieses tiefe, tiefe Gefühl der Ruhe.  Aber ich wusste es damals nicht wirklich, nehme ich an. Ich meine, ich dachte einfach, das sei der natürliche Lauf der Dinge in jenen Tagen. Ich hatte einfach Spaß am Leben, und es schien mir, als würde es immer so sein. Wenn du das Glück hast, diese Art von Erfahrung als junger Mensch machen zu können, dann hast du vielleicht eine ähnliche Erfahrung gemacht. Ich dachte damals nicht, dass es etwas Besonderes wäre. Ich habe es nicht einmal richtig zu schätzen gewusst, weil ich nichts hatte, womit ich es vergleichen konnte. Jetzt weiß ich, dass es ein großer Segen war, diese Gelegenheit gehabt zu haben.  Es gab noch andere Male, bei denen diese Art von Erfahrung gemacht wurde, und so kann ich nicht wirklich sagen, wann mir das erste Mal die Tiefe dieser Erfahrung bewusst wurde. 

Schüler:  In der Vergangenheit hast du diesen Vorfall in New York City als “das Loslassen des Gürtels der Angst” bezeichnet.  

Oh ja. Ich habe diesen Ausdruck schon lange nicht mehr benutzt. So hat es sich für mich angefühlt, einen Gürtel aus Angst loszulassen.  Und dann, als der Gürtel zurückkam, habe ich ihn untersucht und festgestellt, dass ich meinen Bauch nicht nur eingezogen hielt, weil ich gut aussehen wollte.  Es ging um viel mehr als das.  Ich wollte das Gefühl haben, Power und die Kontrolle zu haben. Natürlich hatte ich die nicht, niemand hat die jemals, aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, keine Kontrolle zu haben, außer mich anzuspannen und mich mehr anzustrengen. Es ist ein so überwältigender Zustand für einen Menschen, dieses Bedürfnis die Kontrolle zu haben. Es kann alles Mögliche sein, von einer Sorge bis hin zu einer Art Verzweiflung. Es ist wie das Hauptziel des kleinen Geistes, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, so dass es wahrscheinlich für die meisten nicht wirklich ganz verschwindet.  Deshalb lehre ich immer, einfach zu bemerken.  Bemerke, wie sehr du dich nach Kontrolle sehnst, und was du deswegen tust, wie du deswegen mit anderen sprichst, wie du dich und andere behandelst. 

Schüler:  Ich danke dir.

Schüler:  Kannst du ein wenig mehr über das erste Prinzip der Ruhe und die Idee, sich in diesem Zustand wohl zu fühlen, sprechen? Denn du sprachst gerade von Kontrolle, und ich glaube, viele von uns versuchen, eine Menge Kontrolle über uns selbst auszuüben, nur um uns wohl zu fühlen.

Ja, das ist sehr ironisch, nicht wahr? Wie funktioniert das bei dir? Können wir uns wirklich wohl fühlen, wirklich wohl fühlen, indem wir versuchen, unsere Umgebung zu kontrollieren? Meiner Erfahrung nach können wir uns nur dann wohlfühlen, wenn wir den Versuch loslassen, uns in irgendeiner Weise wohl zu fühlen.  Das “Versuchen” erzeugt immer Spannungen. Mit anderen Worten, unser natürlicher Zustand des Gewahrseins ist ein Zustand tiefer Ruhe, der uns natürlich das innerste Gefühl von Wohlsein vermittelt. Es ist nicht nur in unserem physischen Körper angenehm, sondern auch im Zustand unseres Geistes.  Und wenn wir versuchen, die Dinge zu kontrollieren, insbesondere wenn wir versuchen, unser Wohlbefinden zu kontrollieren, dann stehen wir dieser Fähigkeit im Weg. Wir verraten einfach unseren eigenen natürlichen Zustand. Ich glaube, viele Menschen sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, davon frei zu sein.

Die meisten Menschen gehen durch ihr ganzes Leben und machen diese Erfahrung nicht.  Das bedeutet, dass sie vielleicht nicht einen einzigen Moment frei von Spannungen in ihrem Unterleib sind. Dieser “Gürtel der Angst” besteht aus dem Bemühen um Selbstbeherrschung, nicht nur, um uns selbst zu kontrollieren, damit wir nichts Unangemessenes tun, sondern auch, um sicher zu sein, dass wir die Dinge so tun, dass wir die besten Möglichkeiten für uns selbst hervorheben. Es ist vielleicht nicht einmal das Beste für uns, aber wir haben das Gefühl, dass es am besten zu unserem Wohlbefinden passt, am angenehmsten für uns ist. Das ist alles sehr verwirrt. Wenn wir von dem Ziel besessen sind, nur Vergnügen zu erlangen und Schmerz zu vermeiden, dann werden wir uns immer selbst im Weg stehen und niemals die Erfahrung machen können, einfach nur den Feldweg in völliger Freiheit von Sorge hinunterzugehen. 

Schüler: Ja, ich danke dir. 

Schüler: Sensei, es gibt einige Situationen im Leben, die unangenehm sind, und in der Hospizarbeit, wenn wir Freiwillige darin unterrichten, jemanden zu begleiten, der im Sterben liegt und vielleicht starke Schmerzen hat, sprechen wir davon okay damit zu sein sich unwohl zu fühlen.

Ich verstehe.  Das scheint ein wichtiger Punkt zu sein, zumindest in dieser Situation. Es ist so, als ob wir es nicht vermeiden können, Vergnügen zu begehren und Schmerz oder Unbehagen zu vermeiden, aber wir können es bemerken, und wenn wir bemerken, dass wir uns unwohl fühlen, sind wir im Gewahrsein, wir schenken Aufmerksamkeit, und sobald wir Aufmerksamkeit schenken, fühlen wir uns wohl, obwohl wir uns unwohl fühlen, ja?

Schüler: Wow, ja, und ich denke, das Unbehagen wird durch die Ablehnung ihres Zustands noch verstärkt.  “Oh, ich will das nicht fühlen, weil es unangenehm ist”. Aber wenn wir uns einfach auf das Unbehagen einlassen können, dann tritt eine Entspannung ein. Eine Akzeptanz, die eher der natürliche Zustand ist. 

Vielleicht können wir sehen, dass jeder Zustand auf diese Weise erlebt werden kann? Als ich zum Beispiel kurz nach der Prothesenoperation Schmerzen in meinem Knie hatte, war die Schmerzerfahrung heftig, und doch war es auf geheimnisvolle Weise in Ordnung, solange ich mich nicht zu mir selbst darüber beklagte! Am Anfang haben sie mir Morphium gegeben, und das war toll. Das gefiel mir, aber sie gaben es mir nur für weniger als zwei Tage, damit ich nicht abhängig wurde. Danach haben sie mir ein anderes Mittel angeboten, das seltsame Nebenwirkungen hatte, also habe ich es nicht genommen.  Es dämpft zwar das Schmerzempfinden, aber es dämpft dabei auch alles andere. Also habe ich einfach geübt, den Schmerz zu ertragen, ohne mich dagegen zu wehren, was mich davon abgehalten hat, zu leiden oder zu kämpfen. Das ist definitiv nicht normal, das ist selten, aber hin und wieder findet sich ein Mensch in einer solchen wirklich intensiven Situation wieder.  Der beste Weg für uns alle ist natürlich, ständig zu üben.

Wir können nie mit Sicherheit vorhersagen, was passieren wird, aber eines können wir vorhersagen: Wenn wir versuchen, diese oder jene Art von Erfahrung zu machen, werden wir sie nie machen.  Dafür ist die Praxis nicht da.  Wir haben diese unerwarteten Erfahrungen in unserem Leben.  Wenn wir Glück haben, treffen wir einen Lehrer und haben eine gute Praxis. Und dann, wenn wir sehr viel Glück haben, fängt so etwas an, regelmäßig in unserem Leben zu passieren, und so werden wir erfahren genug, um Lehrer für andere zu sein, und diese ganze Sache geht einfach so weiter, weisst du, Jahrhundert um Jahrhundert um Jahrhundert.

Schüler: Glaubst du nicht, dass viele Menschen in ihrem Leben tatsächlich kurzzeitig in diesen Zustand geraten? Sie wissen vielleicht nicht, was es ist, es passiert einfach.  Aber wenn sie dann jemanden wie dich darüber sprechen hören, gibt es eine Resonanz? 

Oh ja, da bin ich mir sicher.

Schüler: Und das ist vielleicht das, was sie anspricht, und so wissen sie, dass sie einem Weg folgen müssen.

Ja, ich denke, du hast Recht.

Schüler: Ich denke, das passiert vielleicht häufiger als Kind, oder nur in seltenen Fällen, aber die meisten Menschen haben zu diesem Zeitpunkt keinen Kontext, um das zu verstehen. 

Das stimmt. Es liegt also in der Verantwortung des Lehrers, die Erfahrung zu zeigen und nicht nur darüber zu erzählen. Und “zeigen” bedeutet nicht unbedingt, etwas physisch zu demonstrieren. Es kann einfach dadurch gezeigt werden, wie das “Erzählen” geschieht.  Als ich in meinem Büro saß, bevor ich mit dem Unterricht begann, erinnerte ich mich wie so oft daran, dass es keine Rolle spielt, was man sagt, wenn man sich nicht in der richtigen Geisteshaltung befindet, wenn man es sagt. Was ich sage, sind größtenteils Worte, die versuchen, etwas zu beschreiben, das unbeschreiblich ist, aber wenn ich es erlebe, während ich es sage, dann bist du in der Lage, es irgendwie zu erkennen, und du denkst vielleicht: “Oh, das ist etwas, das mir irgendwie bekannt vorkommt!”

Schüler: Es kommt durch. Es ist eine Resonanz.

Ja, ich denke, es ist wichtig, das zu bemerken.  Wir verbringen viel zu viel Zeit damit, uns Gedanken über das zu machen, was wir sagen, anstatt über unseren Geistes-/Körperzustand, wenn wir es sagen. Dasselbe gilt für uns, wenn wir hier sind und jemandem zuhören, weisst du. Wenn wir uns in diesem Zustand tiefer Ruhe befinden, so viel wie möglich, dann werden wir anders hören und viel mehr von der größeren Bedeutung erfassen.

Ich habe über die Zeiten gesprochen, in denen ich Suzuki Sensei zuhörte und alles, was er sagte, mit meiner Philosophie verglich, dies akzeptierte und jenes ablehnte, als ob ich wüsste, was ich tat. Macht das sonst noch jemand? Ja, jeder macht das irgendwann einmal. 

Aber je mehr Aufmerksamkeit wir erzeugen können, desto mehr werden wir davon profitieren, dass wir in diesem Trainingsformat zusammen sind, denn so geschieht die Übertragung. Jeder möchte wissen, was diese “Übertragung” ist, und vielleicht sehen wir, dass man es nicht mit so vielen Worten sagen kann. Übertragung ist nicht unbedingt etwas, das wir von einem anderen lernen, sondern etwas, das durch das Zusammensein mit einem anderen absorbiert wird.

Wenn wir auf diese Weise zusammenkommen, gibt es oft lange Pausen zwischen den Kommentaren.
Diese Pausen bieten uns die Möglichkeit, uns in einer Weise zu öffnen, die unseren eigenen Interessen dient. So ist es nun einmal. Ich denke, jeder weiß das, ohne darüber nachzudenken. Und noch einmal: Denk bitte daran, dass es nicht darum geht, was wir sagen, sondern um unseren Geisteszustand, und alles, was gesagt wird, löst etwas in uns aus, wenn unser Geisteszustand auf diese Weise empfänglich ist. 

[Erlaube mir, hier hinzuzufügen, dass dasselbe auch gilt, wenn wir dies lesen. Es ist durchaus möglich, den innersten Sinn hinter dem Gesagten zu erkennen, wenn wir mit einem ruhigen Geist lesen.]

Schüler: Du sagtest vorhin, dass Ruhe mit Schweben oder Leichtigkeit zu tun hat. Kannst du das näher erläutern? 

Die Erfahrung, mit allem eins zu sein, macht uns das Gewicht unseres Körpers unbewusst. Einmal haben wir in Japan geübt, in san kaku no kamae (Dreieckshaltung) zu stehen, und die Person neben mir fragte Tohei Sensei: “Auf welchem Fuß soll mein Gewicht liegen?” Und Tohei Sensei sagte: “Dein Gewicht? Welches Gewicht?” Und an der Art und Weise, wie er das sagte, erkannte ich, dass er der Meinung war, dass er uns gelehrt hatte, dass man sich seines Gewichts nicht bewusst ist, wenn man mit allem eins ist, und warum haben wir uns das nicht gemerkt?! 

Es geht um das Selbst-Bewusstsein (auf das Selbst kollabieren) versus das universelle Bewusstsein (das alles auf einmal aufnimmt). Entweder ist das Objekt unseres Bewusstseins etwas Relatives, auf das wir uns konzentrieren und mit dem wir versuchen umzugehen, oder das Objekt unseres Bewusstseins ist leer und frei von allem, was uns ablenken könnte, so dass wir uns in einem offenen, alles einschließenden Zustand befinden. Das ist es, was Tohei Sensei uns gelehrt hat, und deshalb mache ich diese Frage-und-Antwort-Sitzungen mit euch, damit wir alle diese Lehren gründlich und oft wiederholen können. 

Okay, ich danke euch vielmals.