Erwartung und Enttäuschung – zwei Seiten derselben Medaille

Guten Morgen allerseits. Auf diesem Seminar haben wir uns mit Bewusstheit ohne Objekt beschäftigt. 

Wir gehen durch unser Leben voll von großen Erwartungen. Wir erwarten Dinge von unseren Partnern. Wir erwarten Dinge von unserem Auto. Wir sind voll von diesen Erwartungen, was eine Art Wunschdenken ist. Wenn wir lernen zu meditieren, und wenn wir reifer in dieser Praxis werden, dann fangen wir an zu bemerken wie wichtig es ist, dieses kontante, verzweifelte Hoffen loszulassen, wie auch, notwendigerweise, die damit einhergehende Enttäuschung. Wenn wir beginnen, diese Erfahrung des Loslassens von Erwartungen zu haben, könnten wir denken „Okay, nun da ich dieses Loslassen erreicht habe, bin ich bereit für meine Belohnung, bitte.“ Erwartungen sind eine solche Gewohnheit des Geistes, dass sie sofort wieder aufkommen. Im Ernst, selbst wenn wir anfangen nach Erleuchtung zu suchen, ist das die ultimative Erwartung. Es ist jedoch kindisch, so etwas zu verlangen. Natürlich gibt es das Erwachen aus einem Zustand des Schlafens, der Betäubung, doch dies geschieht nicht durch einen Prozess (meiner) Ursache und (deren) Effekt.

Wenn wir dieses Syndrom in uns entdecken, wenn wir letztendlich erkennen, dass wir dieses verzweifelte Suchen mit unserem Herz und Verstand, was immer zu Enttäuschungen führt, gar nicht brauchen, ist dies eine riesige Befreiung. Mit anderen Worten, wir erkennen, dass Freiheit von uns abhängt, und nicht von jemand anderem. Wir sind es, wir tun uns das selbst an, also könnten wir es genauso gut loslassen. Und wenn wir loslassen, dann müssen wir beide Seiten davon loslassen, wir können nicht an einer Seite der Medaille, den Bedürfnissen, festhalten, aber Enttäuschungen vermeiden. Es kommt in einem Paket, also bitte, schau und erkenne auf welche Art du an dieser durch und durch menschlichen Aktivität teilnimmst, und vielleicht kannst du dich fragen wie es wäre, davon komplett frei zu sein. Wir können lernen unseren Geist zu ändern. Wir können auf andere Art leben.

Wenn du das erste Mal wahrhaft mit dem Bokken schneidest, kannst du für einen Moment frei sein. Das kann auch passieren, indem du deinen Lehrer sich auf eine bestimmte Art bewegen siehst, vielleicht, oder er sagt plötzlich etwas direkt zu dir. 

Ich werde euch eine kurze Geschichte erzählen. Als ich jung war, und Aikido trainierte, saß ich direkt hier drüben auf der linken Seite während Suzuki Sensei unterrichtete. Ich hörte ihm zu, und während ich ihm zuhörte (der genau wie ich die gleichen Dinge immer und immer wieder wiederholte) hatte ich die Angewohnheit, nach etwas für mich Neuem und Interessantem zu suchen. Ich mochte ihn sehr (zumindest dachte ich, dass ich das tat), aber in Wahrheit erntete ich schlicht Informationen von ihm. Ich war einfach nicht komplett offen da. Stattdessen dachte ich darüber nach was er sagte und warum er es sagte, und wie ich es in meine fortlaufende Philosophie des Lebens einpassen könnte, dies ablehnend, das akzeptierend, das meiste zur Seite legend. Diese Mal jedoch, als er gerade so wie jetzt zur Gruppe sprach, unterbrach er plötzlich sein Sprechen, drehte sich um, und schaute mich direkt an. Dann drehte er sich wieder weg und sprach weiter. Als er mich so anschaute, blieb alles einfach stehen. Es fühlte sich an als wenn er direkt in meinen Geist schauen könnte, genau wusste was ich tat, und als Resultat dessen wurde mein Geist irgendwie komplett leer. Alles im Raum, selbst die Luft, wurde kristallklar, und fühlte sich für mich dick an, wie Honig. Dann, als er im nächsten Moment sprach, ich versichere euch, konnte ich nicht sagen ob er sprach, oder ob ich sprach, weil dies so außerhalb von allem war was ich kannte. Ich konnte nicht sagen ob ich hier war oder dort drüben. Da waren nicht länger Raum und Dimensionen in der Art wie ich es gewohnt war.

Das hört sich vielleicht etwas seltsam an, aber wenn es dir selbst passiert, wirst du wissen wovon ich spreche. Es war sehr schön. Aber, leider, sobald ich bemerkte wie schön es war, war ich davon zurückgetreten, sah es als ein Objekt, und es war verschwunden. In diesem Moment übernahm mein „Ich“ und begann sich als etwas Besonderes zu empfinden, etwas Besseres, vollendet. 

Dies ist worüber ich vor einem Moment gerade gesprochen hatte. Wir haben plötzlich einen Moment der Freiheit, und unmittelbar danach denken wir „Ich bin großartig. Jetzt habe ich es.“, vielleicht sogar „Ich bin erleuchtet.“ Das ist sehr, sehr kindisch. Vielleicht hast du wirklich einen wahren Moment des klaren Sehens, aber von dieser Art Moment muss es viele, viele, viele, viele geben, und selbst dann, der Geist ist so gewohnheitsmäßig und konditioniert, dass du niemals sagen kannst „Ich weiß.“ Wenn „Erwachen“ irgendetwas bedeuten kann, dann ist es „Ich kann niemals wissen, und es ist okay.“ Wenn wir in Ignoranz sind, sagen wir „Ich weiß nicht, und ich muss wissen,“ oder noch schlimmer, wir denken wir wissen tatsächlich schon etwas „Wahres“. Aber das ist wieder Wunschdenken, Leute. Wann immer du diese Art des Wünschens in deinem Geist genießt, erinnere dich bitte an die andere Seite der Medaille, die qualvolle Enttäuschung, okay?  

Okay. Nun könnt ihr mir Fragen stellen zu eurem Wunschdenken, wenn ihr es wünscht.

Schüler: Als Menschen sind wir limitiert durch den Fakt das wir Mensch sind, und wenn wir über Erleuchtung sprechen, an welchem Punkt kann es eine wahre Sache sein, oder ist es ein Trick, weil wir Menschen sind, und wir limitiert sind? Ist hier eventuell ein kleiner Anteil an Glauben nötig?

Nun, Glaube ist keine schlechte Sache, solange es keine Hoffnung ist, solange es kein Wunschdenken ist. Das ist nicht Glauben. Wahrer Glaube ist eine Art Gewissheit, was überhaupt nicht das Gleiche ist wie eine „Sache“ zu wissen, die definitiv passieren wird. Okay?

Um fair zu sein, am Anfang, wenn wir zu dieser Praxis kommen, müssen wir natürlich die Entschlossenheit haben etwas erreichen zu wollen, nicht wahr? Wir müssen Fähigkeiten entwickeln, Disziplin, wie man hart arbeitet und intensiv mit einem Ziel verbunden ist. Okay, aber ich möchte jeden daran erinnern, dass wenn du letztlich dein Ziel erreichst, wird es scheinen als wäre es leer, dass es nicht existiert, als solches. De facto war es eine Kreation deines limitierten, menschlichen Intellekts. Es war eine Kreation deiner Bedürfnisse, deines konditionierten Geistes. Erleuchtung bedeutet nicht irgendwelche Fakten zu lernen, oder irgendeine Wahrheit. Es ist Dies zu akzeptieren, wie das Leben tatsächlich ist, und davon nicht erschüttert zu sein.

Ein Teil davon ist, dass du älter werden musst. Älter zu werden kann hart für den Körper sein, aber wundervoll für den Geist, weißt du. Als Tohei Sensei das erste Mal nach Hawaii kam, war er 33 Jahre alt. Das war 1953, er war brillant, er hatte 68 Sessions an der IchikukaiMisogi Schule mitgemacht. Niemand vor oder nach ihm hat das jemals getan, und das war bevor er 33 Jahre alt war. Folglich dachten wir damals alle er wäre vollständig erwacht. Wenn du sahst wie Tohei Sensei sich im Aikido bewegte, war es einfach unglaublich wie frei und spontan er war. Es war als wenn jeder andere im Aikido etwas komplett anderes tat. Aber ich war in der glücklichen Lage, über viele Jahre danach ihn näher kennen zu lernen und mit ihm zu trainieren, bis kurz vor seinem Tod, und er hat sich in diesen Jahren stark verändert, mehr und mehr, je älter er wurde. Nun, das was ich euch jetzt unterrichte, so hat er nie gesprochen als er 30 war. Als er 70 war sprach er so, also waren vielleicht die letzten 15 oder 20 Jahre seines Lebens so. Da ist etwas mit dem Älterwerden, irgendwas mit der Erfahrung. Nicht dass junge Menschen nicht erwachen können, aber es ist eine sehr komplexe Sache, diese Menschlichkeit, deshalb wollen wir sehr vorsichtig sein zu definieren was sie ist. Wir sehen es als Etwas (some-thing), aber es kann sehr schockierend sein zu erkennen, dass es eigentlich Nichts (no-thing) ist. Das Problem ist wir wollen Etwas machen, und wir sind sehr beleidigt, wenn nicht mal Irgendetwas dabei rauskommt. Wir wollen, dass das Leben auf eine bestimmte Art ist, aber da Veränderung konstant da ist, ist es niemals auf diese Art, oder wenn es für einen Moment so aussieht, dann verändert es sich sofort wieder. Nun, wie können wir in dieser veränderlichen Welt leben, in der das Verlangen ganz natürlich aufkommt, wir empfinden etwas Erfolg, und dann empfinden wir früher oder später Enttäuschung, und dies als eine menschliche Eigenart zu akzeptieren, und inmitten dieses Wandels leben zu können, mit keinem Objekt in unserer Wahrnehmung, keiner Bedingung, das ist unsere Praxis. 

Ich erwarte nicht von euch, dass ihr sagt „Oh ja, jetzt verstehe ich.“ Bitte übt einfach weiter. Übung. Übung. Übung. Der menschliche Geist/Körper ist ein energetisches Ding, ja? Also, wenn da etwas ist das uns wichtig ist, dann ist darin eine Menge Energie enthalten, nicht wahr? Ein großer Teil unserer Aufmerksamkeit geht da hin, und diese Aufmerksamkeit ist Energie. Deshalb sage ich immer, wenn du ein spirituelles Training machen willst, schau dich um, aber dann wähle eine Praxis und tauche darin tief ein. Wenn du diese Sache hast die du liebst, und auch diese andere Sache die du liebst, und dann noch diese andere, andere Sache die du liebst (das passiert wenn du jung und noch nicht reif bist), dann realisiert du noch nicht, dass wenn du eine dieser Sachen die du liebst loslässt, dass all diese Aufmerksamkeit und Energie die daran gefesselt war nicht einfach verschwindet, sondern nun für dich frei ist. Sie wird zu einem Teil von dir. Nun, stell dir vor alle diese Sachen loszulassen, und dann ist nur noch deine eine Praxis übrig, und sie ist angefüllt mit allem was zählt, was die Macht des Gewahrseins ohne Objekt ist. 

Ein ganz wichtiger Punkt hier ist, dass wenn du dich mit dieser neuen Energie angefüllt fühlst, darfst du niemals versuchen sie zu benutzen. Sie ist hier in dir, sie ist vorhanden, sie wird immer irgendwie verwendet, aber du, als ein individueller Akteur, du benutzt sie nicht. Das ist eine seltsame Aussage, das gebe ich zu, und es scheint, dass wir das üblicherweise auf die harte Tour lernen müssen. Wenn sie hochkommt, könntest du wahrscheinlich denken „oh, ich kann damit die Welt erobern.“ Vielleicht später mal, dann erinnerst du dich vielleicht dass ich dies gesagt habe. 

Schüler: In der Vergangenheit, haben einige Lehrer, einige eher intellektuelle, versucht die Leute dazu zu bringen die perfekte Technik zu machen, und das hat in uns Konflikt ausgelöst, und wir waren nicht in der Lage zu wachsen. Wenn jemand danach strebt die perfekte Technik zu machen, dann schafft das Anspannung.

Ist da eine Frage?

Schüler: Können wir zu diesem Ort gelangen von dem die Rede ist?

OK, die Frage ist „Können wir zu diesem Ort gelangen?“ Wenn du ein Anfänger wärst, dann würde ich sagen „Ja, du kannst dahin gelangen. Bitte übe weiter.“ Aber du bist ein Chief Instructor. Daher muss ich dir sagen, dies, genau hier, ist der Ort. Da ist kein anderer Ort. Da ist kein „da drüben“ oder „irgendwo in der Zukunft“. Da ist nur dies genau hier.

Mit anderen Worten, wenn wir meinen wir müssen etwas erreichen, so bedeutet dies, dass wir denken es noch nicht zu haben. Also auf eine Art sprechen wir davon, diesen Moment hier in die Zukunft zu verschieben. Versteht ihr? Wenn du ein Essen für die Party kochst die morgen stattfindet, dann machst du das Essen jetzt, und du machst es so perfekt wie möglich. Du projizierst dieses Essenmachen nicht auf alle die morgen zum Essen kommen, schon alleine, weil morgen vielleicht gar nicht kommt. Es kommt wahrscheinlich für dich, aber dennoch weißt du aus deiner Praxis, dass dies hier alles ist was ist. Also es mag sein, dass ich immer unterrichte wie man irgendeine Technik macht, aber dahinter steckt, dass ich zeigen möchte wie man hier und jetzt sein kann.  

Es ist wichtig anzumerken, obwohl wir diese Wörter benutzen, „jetzt“, dieser Moment in der Zeit, „hier“, dieser Ort im Raum, wir können diese niemals finden. Ich kann sie nicht mit meinem Finger berühren, nicht wahr? Wir sind jetzt hier, da ist Etwas, und Etwas kann niemals zu Nichts werden, und dennoch ist alles leer. Wir sind immer hier, und es ist immer jetzt. Das ändert sich niemals. Das ist die einzige Konstante die wir haben, und das kann sich niemals, niemals, niemals ändern. Selbst wenn du stirbst, dann stirbst du jetzt, nicht später. Deshalb leben wir hier. Okay?

Schüler: Vor einigen Jahren habe ich auf einem Seminar in Holland eine Frage gestellt. Ich bin mir nicht wirklich sicher über die Frage, aber ich erinnere mich an die Antwort, oder zumindest an das Ende der Antwort. Nämlich, dass es mit Emotionen zu tun hatte, wenn Emotionen hochkommen, Angst, Wut, dann sollte ich sorgfältig beobachten wie sie beginnen, ich habe aufgepasst und das getan, mein Gefühl sagt mir jetzt, dass deren Ursprung immer derselbe ist. Es ist nicht Angst, es ist nicht Wut, Es ist einfach dass, nachdem sie hochgekommen sind, geben ich ihnen einen Namen, zum Beispiel „Angst“. 

Ja. Ich wollte, dass du bemerkst dass das Leben geschieht, und dann kommentieren wir es, und wir leben, als wenn unser Kommentar, unsere Wahrnehmung, das ist was ist. Das ist nicht was ist. Was ist, ist was passiert, nicht der Name den wir dem geben. Du hast das entdeckt, worauf ich hingedeutet habe, also hast du nun keine Frage, sondern lebst einfach darin. Natürlich wirst du immer noch Dingen Namen geben sobald sie auftauchen, weil das ist was wir tun. Der Schlüssel ist niemals zu versuchen die Dinge zu ändern, sondern sie einfach zu bemerken.Wir bemerken was hochkommt und auch dieses Benennen, aber ohne es zu kommentieren, ohne zu versuchen irgendwas zu ändern. Das ist Gewahrsein, dieses Bemerken, und das ist wie alle Evolution stattfindet. Das ist Kreativität, und das ist wie alle Veränderung stattfindet. Das ist was deinen Geist/Körper formt und poliert, wie eine Kristallkugel.

Wir schauen in einen Spiegel, was wir in spiritueller Praxis das „Spiegeluniversum“ nennen. Alles was erscheint in Reaktion auf diesen Spiegel ist einfach so, einfach was es ist, bis wir ihm einen Namen geben, und dadurch limitieren wir es auf das als was wir es benannt haben. Dann ist es nicht mehr einfach so. Die meisten Menschen leben in diesem Land der Imagination, des „einfach nicht so“, ihr ganzes Leben lang, und wissen nichts davon, bis oder wenn nicht jemand ihnen nahelegt „Übrigens, bist du dir sicher?“ Es kann ein richtiger Schock sein, wenn man das zum ersten Mal hört. Daher kann jemand, der sowas sagt, sehr unpopulär sein. In meinem Fall habe ich hoffentlich gelernt, so etwas nicht zu sagen, wenn nicht jemand danach fragt. Wenn du natürlich zum Dojo kommst, dann fragst du, nur durch dein Kommen. Aber wir wissen, dass wir nicht auf der Straße herumlaufen und den Leuten sagen, sie sollten bemerken, dass das Universum ein Spiegel ist, dass was sie sehen vielleicht nicht ist was sie denken zu sehen. Okay? Also, wir versuchen das nicht zu tun.

Bitte erinnert euch daran diesen Prozess zu bemerken, diese zwei-seitige Medaille, von der ich heute zu euch spreche, Erwartung und Enttäuschung. Wenn du es brauchst, dass etwas auf eine bestimmte Art ist, dann garantiere ich dir, dass du früher oder später enttäuscht sein wirst. Ich sage nicht, dass das Leben dir niemals gibt was du willst. Manchmal bekommst du was du willst, das ist sehr nett, und dann verändert es sich morgen, nichts bleibt gleich. Also müssen wir einen Weg finden, in diesem veränderlichen Zustand zu leben mit einem gewissen Grad an Stabilität. Das ist der Grund warum ich unterrichtet habe, dass Stabilität nicht bedeutet keine Veränderung. Stabilität bedeutet nicht, dass es dort keine Bewegung gibt. Wahre Stabilität ist eine sehr, sehr schnelle Akzeptanz, immer in einem Zustand zu sein von ja, ja, ja, ja, ja.

Ich danke euch vielmals.

(Q&A beim Seminar in Valencia mit Christopher Curtis Sensei, Mai 2019, Übersetzung: Olaf T. Schubert)